Bevor ich mein Tageswerk beginne, gönne ich mir meistens einen kleinen Waldspaziergang. Seit kurzem klingt und singt es während dieses frühmorgendlichen Marsches von allen Bäumen und aus allen Gebüschen.

Die Vögel haben ihre Stimme wieder gefunden. Sie begrüssen, jede Art auf ihre ganz typische Weise, die Boten des Frühlings.

Ich lehne mich an einen Baum und höre diesem frühlingshaften Jubilieren zu.

Ich erinnere mich an meine Kindheit, wo mir der Frühling auch schon liebste Jahreszeit gewesen ist. Ich konnte es kaum erwarten, bis dass die Sonne wieder mehr wärmte und ich draussen spielen konnte.

Die Wiesen, damals mehrheitlich noch ungedüngt, zeigten ihr frühlingshaftes Gewand: «Guggerblumen» (Wiesenschaumkraut), Schlüsselblümchen und weitere farbenfrohe Gewächse in üppiger Vielfalt steigen vor meinem geistigen Auge auf. Ich liebte es, mich inmitten die «Guggerblumen» zu setzen und die Welt aus ihrer Sicht zu betrachten.

Doch wieder zurück zu den Vögeln.

In meiner Kindheit kannte ich praktisch jeden Vogel, wusste um seine Eigenheiten, erkannte ihn an seinem Gesang. Ich hatte auch einen überaus kompetenten und geduldigen Lehrmeister: Meinen Vater.

Er war eingeschriebenes Mitglied und hochgeachteter Rechnungsrevisor des örtlichen Natur- und Vogelschutzvereins.

Er nahm mich mit auf seine Streifzüge durch die Wälder, geriet in Entzücken, wenn er wieder einmal eine ganz seltene Vogelart erblickte.

Er pfiff mir die verschiedenen Vogelmelodien vor und tat eigentlich alles, um in mir die Liebe zur Natur und zur Tierwelt zu wecken.

Selbstverständlich liess er mich auch gerne in seinen ornithologischen Büchern stöbern und ich konnte ihn alles fragen, was mir nicht auf Anhieb einleuchtete.

Wenn er einmal etwas nicht wusste, was übrigens äusserst selten vorkam, dann meinte er nur trocken: «Ach, bin ich ‚pfyffeholzdumm‘!» Über die Herkunft dieses arigen (seltsamen) Ausdruckes weiss ich leider nicht Bescheid.

Als ich in der zweiten Sekundarklasse gewesen bin, nahmen wir auch die Vogelwelt durch.

Wie freute ich mich darauf. Hier konnte ich mit meinen Wissen brillieren.

Endlich kam die langersehnte erste Unterrichtsstunde. Doch oh Graus: Nichts von alledem, was ich kannte und so liebte, lehrte uns der Biologielehrer.

Er zeigte uns zu meiner grossen Enttäuschung lediglich Vogelskelette und erklärte uns mehr schlecht als recht, weshalb Vögel fliegen können, was mir jedoch nicht ausreichte, weil ich es nämlich besser wusste:

Vögel können fliegen, weil sie uns mit dieser Gabe Botschaften aus himmlischen Gefilden herunterbringen können.

So wenigstens erklärte es mir mein Vater damals auf unseren Streifzügen durch die Wälder meiner Kindheit.

 

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