Pro Helvetia lädt zu einer kulturpolitischen Tagung ein mit dem programmatischen Titel: «Vergoldete Jüüzli – Wie viel Unterstützung braucht Volkskultur?» ¹

Expertinnen und Experten aus der Schweiz, aus Dänemark, Deutschland und Österreich diskutieren aus den verschiedensten Blickwinkeln die sog. ‚Volkskultur‘. Im abschliessenden Workshop (es gibt mehrere) wird die Frage gestellt, wie sich wohl die Schweizer Kulturlandschaft verändert, wenn ‚Volkskultur‘ stärker gefördert würde. Und: Wird die ‚Volkskultur‘ zur neuen Avantgarde? Droht dem künstlerischen Experiment das Aus?

Nein, und nochmals nein. Die ‚Volkskultur‘ ist nicht Kunst, kann nie Avantgarde sein.

Die Volkskultur hat sich jedoch eine Freiheit bewahrt, die anderenorts längst verlorengegangen ist. Eine Volksmusikveranstaltung ist nämlich nicht auf Kritiker, Medienaufmerksamkeit und Marketing angewiesen. Es gibt sie nur aus einem Grund, weil Publikum und Darbietende diese Musik gleichermassen lieben. Hier liegt wohl das Geheimnis der Volkskultur. Sie wird nicht von einer professionellen Künstlerkaste für ein weitgehend anonymes Publikum produziert. In der Volkskultur sind Künstler und Publikum Teil der gleichen Gemeinschaft, vereint in der Liebe zu ihrer Kultur. Über Erfolg und Misserfolg entscheidet hier nicht anderntags der Kritiker der Tageszeitung, sondern unmittelbar das Publikum, schliesslich kennt man sich ja. Aus dieser Verzahnung bezieht Volkskultur ihre Kraft, denn eine härtere Schule lässt sich kaum vorstellen. Hier ist jeder ein Fachmann, hier hat jeder ein geschärftes Ohr, denn Kultur ist hier immer noch ein Teil des Lebens in der Gemeinschaft, an dem fast jeder teilhat.

‚Volkskultur‘ kann also nicht so gefördert werden, wie die aktuelle (zeitgenössische) Kultur. ‚Volkskultur‘ ist und bleibt und wird immer Ausdruck eines Lebensgefühls sein.

‚Volkskultur‘ ist sozusagen das ‚Slow-Food‘ in unserer ‚Fast-Food-Welt‘ – ein soziales Phänomen.

Doch, ein bisschen fördern könnte man schon. Nicht jedoch mit fragwürdigen ‚Erneuerungen‘, sondern eher mit ernsthaft betriebener ‚Spurensuche‘.

Ein Beispiel dazu:

Wenn eine Nadja Räss den ‚Jüüzli‘ (Naturjodel) in den verschiedenen Regionen nachspürt und dabei entdeckt, dass die Vokalisation je nach Region ganz verschieden ausfällt, und gleichzeitig aufdeckt, dass der Jodlerverband mit seiner starren Reglementierung bzw. Vereinheitlichung der Vokalisation gerade dadurch den urwüchsigen ‚Naturjuuz‘ verhunzte, dann ist das eine geradezu revolutionäre Kulturtat.

Nur: Mit dem üblichen ‚Kulturförderverständnis‘ kann solches wohl nur schwerlich gewürdigt werden. Für den Jodelgesang jedoch kann ihre Arbeit grosse/grossartige Auswirkungen zeitigen.

¹ Diesen Beitrag habe ich anlässlich des von Pro Helvetia initiierten Programms «echo -Volkskultur zwischen Tradition und Innovation» (2006–2008) geschrieben.

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