Wenn das Novemberwetter so richtig Einzug hält, stehen auch schon die Grippe und weitere Unpässlichkeiten vor der Haustüre. Apotheker und Hausärzte reiben sich die Hände.

Doch halt: Bis vor zwei Jahren galt das noch. Doch heute gibt’s bekanntlich keine Grippe mehr. Uns ärgert nur noch das sog. C-Virus! Das Händereiben der Apotheker und Hausärzte ist jedoch geblieben.

Mal abgesehen von diesem speziellen Virus, wie schützten sich unsere Vorfahren vor dem November-Ungemach? Da kommen wir schnell zur sog. Volksmedizin. Sie ist so alt wie die Menschheit selbst und in jeder Kultur beheimatet. Die Volksmedizin ist die Überlieferung medizinischer Kenntnisse von einer Generation auf die andere.

Sie ist auch die Basis der heutigen Schulmedizin und findet ihre Wurzeln in dem Erkennen und Beobachten tierischer Instinkthandlungen. Im Gegensatz zum Menschen wissen sich die meisten Tiere instinktiv zu helfen. So fressen beispielsweise Schafe Efeublätter, wenn sie Magenbeschwerden haben. Hunde wenden sich eher der Quecke (Pflanzenart aus der Familie der Süssgräser) zu, um ähnliche Probleme zu bekämpfen, während Pferde sich bestimmte Baumrinden aussuchen.

Diese tierischen Verhaltensweisen haben sich vor Urzeiten bereits interessierte Menschen zu Nutzen gemacht und daraus die ersten Pflanzenheilmittel entwickelt. Über die Jahrtausende hinweg kamen dann ständig neue Erkenntnisse und Erfahrungsberichte hinzu und auch heute ist diese Entwicklung nicht abgeschlossen, wie uns die weltweite Forschung in allen Bereichen der Naturheilkunde zeigt.

Die Trennung zwischen Volksmedizin und akademischer Schulmedizin setzte erst im 19. Jahrhundert ein. Mit der Entwicklung chemischer Medikamente wurden die altbekannten Heilmittel der Volksmedizin, die stets eng mit der Pflanzenheilkunde verbunden war, in den Hintergrund gedrängt.

Erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat wieder eine Rückbesinnung auf die alten Hausmittel eingesetzt. Dies zeigt auch die steigende Zahl von Heilpraktikern und Naturärzten in der Schweiz, die sich keine Sorgen über Patientenmangel machen müssen.

Der Quacksalber, Franz Anton Maulbertsch

Natürlich tummelten (und tummeln!) sich auch gerne sogenannte «Quacksalber» auf dem Gebiet der Volksmedizin und versprachen (und versprechen) ihren Gläubigen gerne wundersame Heilungen. Deshalb kann es uns nicht erstaunen, dass bereits im 19. Jahrhundert die damalige Ärzteschaft dieses bunte Treiben heftigst angegriffen und als Kurpfuschertum angeprangert hat.

Ob sich allerdings die Ärzte dabei nur ums Wohl der Bevölkerung sorgten, wage ich zu bezweifeln. Vielmehr wurden wohl auch damals die Heilkundigen eher als lästige Konkurrenz betrachtet.

Die Vertreter der ärztlich-naturwissenschaftlichen Medizin grenzten sich deutlich von den Methoden und Ansichten der Nicht-Ärzte ab. Die häufige Verwendung von Begriffen wie «Kurpfuscher», «Afterärzte» oder «Charlatane» für Laienheiler diente demselben Zweck. In dieselbe Richtung zielte übrigens auch Jeremias Gotthelf in seinem Roman «Anne Bäbi-Jowäger».

Wenn ich als Kind an Grippe erkrankte, wusste meine Mutter stets ein wirksames Mittelchen dagegen. Essigsöckchen und Lindenblütentee senkten das Fieber, ein Haferschleimsüppchen beruhigte meinen Magen und ein ungesüsster Thymiantee liess den Husten abklingen.

Konnten jedoch alle Hausmittelchen nichts bewirken, dann kam der Herr Doktor persönlich auf Visite, untersuchte mich eingehend und verschrieb mir ein probates Mittelchen.

An einen ganz speziellen Zaubertrank des Herrn Doktors kann ich mich mit Grauen noch erinnern. Er verschrieb mir bei einem hartnäckigen Husten stets seinen selbstgebrauten «Bäredräck-Sirup» (Lakritze). Der schmeckte so fürchterlich, dass ich mich nach dem ersten Schluck nicht mehr getraute zu husten. Zweck erfüllt.

Zu guter Letzt möchte ich noch anfügen, dass sich unsere Vorfahren vor der Grippe nicht gross fürchteten, denn sie vertrauten zusätzlich zu den Hausmittelchen den Selbstheilungskräften ihres Körpers.

Fotohinweis: Theodor Strübin, Liestal (Schwester Nesa Caduff, 1943)

 

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