Während meiner Zeit als Geschäftsführer im ‚Haus der Volkskultur‘ in Burgdorf ist mir das beeindruckende Monumentalwerk ‚Emmentaler Sennenleben‘ zum ersten Mal begegnet.

Es war eine Entdeckung, die nicht nur mein professionelles Interesse weckte, sondern auch persönlich tief berührte. Als aktiver Sänger im Jodlerchörli Utzenstorf bot sich mir die Gelegenheit, aus diesem Werk zu singen. Voll Inbrunst stimmte ich die «Aemmitaler Alpuffahrt» an, ein Lied, das die Essenz des Emmentaler Lebensgefühls einfängt und weit über die Grenzen der Notenblätter hinausgeht.

Diese Erfahrungen verbanden mich auf besondere Weise mit dem Erbe des Emmentals und vertieften mein Verständnis für die kulturelle Bedeutung der Region. Es ist mir ein Anliegen, diese Verbindung zwischen Tradition und Gegenwart in den folgenden Zeilen weiter zu erforschen und die Bedeutung des Älplerlebens, wie es Oskar Friedrich Schmalz und seine Frau Hedy in ihrem Werk darstellen, zu beleuchten:

Vom aussichtsreichen Napf bis zu den schroffen Wänden der Schrattenfluh und des trutzigen Hohgant breiten sich auf den Höhen und Abhängen des emmentalischen Hügelgebiets sonnige Weiden mit heimeligen Alphütten und sturmfesten Wettertannen aus. Dieses archaische Emmental war für den Berner Jodlervater Oskar Friedrich Schmalz ¹ (1881–1960) Gegenstand vieler seiner Jodellieder. In seinem Monumentalwerk «Emmentaler Sennenleben» belebt er in vier Akten den Älpler-Jahreskreis.

Doch Schmalz, bzw. seine Ehefrau Hedy (1895–1976), die den Text beisteuerte, spricht in diesem Werk, das 1932 von den Emmentaler-Jodlern in Konolfingen uraufgeführt wurde, immer nur von Sennen. Das stimmt jedoch nur zum Teil. Vor allem waren es die Küher, die das Älplerleben während beinahe dreihundert Jahren prägten und damit das Emmental zur wohl reichsten Region im Kanton Bern machten.

Die für den Alpbetrieb benötigten Fachleute der Milchverarbeitung, die Küher, rekrutierten sich aus einheimischen Bauernsöhnen, die nach der Übernahme des väterlichen Hofes durch den jüngsten Bruder (Minorat ²) ausbezahlt wurden.

Mit der Umstellung auf die exportorientierte Produktion von Fettkäse im 16. Jahrhundert wurde die Alpkäserei profitabel, wodurch Kuhalpen im Wert stiegen. Anders als Korporationsalpen im Alpenraum, waren im Emmental die privaten Alpen über Alprechte käuflich.

Das Patriziat der Stadt Bern erwarb solche Alpen ab dem 16. Jahrhundert als Geldanlage. Der Küher wurde somit Pächter der Kuhherde und der Alp. Das sichere Angebot an Alppachten bewog den Küher im 18. Jahrhundert, Besitzer der Kuhherde zu werden und – im Unterschied zum angestellten Senn – vollends zum Unternehmer. Während der Alpzeit von Mai bis Ende September pachtete er eine sogenannte Herrenalp. Für das Winterhalbjahr suchte er für sich und seine Herde von 40 bis 100 Kühen Unterkunft im Tal.

Zur reichen Folklore des Küherstandes gehörten der Alpaufzug, Schwingen, Alphornblasen und Kuhreihen. Und damit wären wir wieder beim Jodlervater Schmalz und seinem «Emmentaler Sennenleben» angelangt. Das vollständige Werk wird nur noch selten aufgeführt. Jedoch schmücken einzelne Lieder daraus nach wie vor das Repertoire der Jodlerklubs – insbesondere die «Aemmitaler Alpuffahrt», die in feinen Versen den Frühling und die sehnsüchtig erwartete Alpauffahrt beschreibt:

Lueg, jetzt hei mer’s scho erstritte, mir si dobe-n-uf em Grat,
G’höret ihr, wie d’Glogge lütte? Üsi Hütte si parat.

So klingt aus der Ferne der Ruf der Vergangenheit, der in den Melodien und Worten des «Emmentaler Sennenlebens» nachhallt. Oskar Friedrich Schmalz und seine Frau Hedy haben mir ein Fenster in eine Welt geöffnet, die durch die Arbeit und das Leben der Küher und Sennen geprägt war – eine Welt, die trotz des Wandels der Zeiten ihre Faszination für mich behält.

¹ Oskar Friedrich Schmalz (1881–1960), häufig als «der Jodlervater» bezeichnet, spielte eine zentrale Rolle in der Bewahrung und Förderung des Schweizerischen Jodelgesangs. Um 1910 initiierte er eine Bewegung, die sich dem Schutz und der Pflege des Jodelns in seiner schweizerischen Form widmete. Mit dem Leitsatz «Der Jodelgesang muss in seiner Schweizer Eigenart geschützt werden» trug er massgeblich zur Gründung des Eidgenössischen Jodlerverbands bei.

² Minorat bezeichnet ein Erbrechtssystem, bei dem das gesamte Erbe oder ein bedeutender Teil davon an den jüngsten Sohn der Familie geht. Diese Regelung steht im Gegensatz zum Majorat, bei dem das Erbe an den ältesten Sohn übertragen wird.

Abbildung: Plakat der Uraufführung «Emmentaler Sennenleben» der Emmentaler Jodler, Konolfingen (Privatarchiv H.P. Gautschin)

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