Damals in den 1960er Jahren hatte ich einen guten Schulfreund. Mehr noch, wir waren Blutsbrüder – inspiriert von unseren Helden «Winnetou» und «Old Shatterhand».

Wir vollzogen das Ritual genau so, wie wir es im Film «Winnetou 1» gesehen hatten: Mit dem Sackmesser ritzten wir unsere Handgelenke an und vermischten zeremoniell die spärlichen Blutstropfen. Dann schwuren wir uns ewige Treue und Freundschaft, gefestigt durch das Versprechen, gemeinsam gegen allerlei Unbille aus Schule und Nachbarschaft zu bestehen.

In der Schule, wie auch in der Nachbarschaft, waren wir nämlich umgeben von talentierten Bastlern. Doch Ernst und ich waren alles andere als begnadete Handwerker, was uns jedoch nicht davon abhielt, unsere eigenen handwerklichen Träume zu verfolgen. Trotz unzähliger Fehlschläge und der Tatsache, dass wir mit der Präzision eines Elefanten im Porzellanladen zu Werke gingen, liessen wir uns nicht entmutigen. Wir versuchten immer wieder, unseren Ideen Leben einzuhauchen.

Ernst und ich waren schon immer Meister des ungewollten Chaos. Während andere Knaben Modellflugzeuge bauten, die tatsächlich fliegen konnten, spezialisierten wir uns auf Erfindungen, die eher zum Schmunzeln als zum Staunen anregten. Unsere Werkzeugkiste war voller Begeisterung und kreativer Ideen – leider war das handwerkliche Geschick darin nur in homöopathischen Dosen vorhanden.

In den Annalen unserer kindlichen Basteleien verzeichnet sich eine Serie glorioser Fehlschläge, die ihresgleichen sucht. Ernst und ich, zwei Pioniere mit mehr Mut als Geschick, zogen aus, um die Welt der Handwerkskunst zu erobern, und doch schien es, als wäre jeder Versuch dazu verdammt, in heiteres Chaos zu münden.

Unser erster heroischer Fehlschlag entstand aus einer Begeisterung für die Einbäume, die wir kürzlich im Schulunterricht durchgenommen hatten. Inspiriert von den erstaunlichen Fähigkeiten ferner Völker, wollten Ernst und ich unsere eigene Version eines solchen Bootes erschaffen. Mit grosser Vorfreude und wenig Ahnung schwangen wir Stechbeutel und Hammer, um aus einem runden Stamm ein seetaugliches Gefährt im Kleinformat zu schnitzen. Doch unser Eifer war natürlich grösser als unser handwerkliches Können. Das Ergebnis war ein wackeliges Etwas, das mehr Ähnlichkeit mit einem unfertigen Holzklotz als mit einem schiffbaren Einbaum hatte. Statt also heldenhaft die Wellen zu bezwingen, fanden wir uns schnurstracks in den fürsorglichen Armen von Ernsts Mutter wieder, die unsere zahlreichen Schnittwunden mit weit mehr Geschick und Sorgfalt versorgte, als wir je beim Holzschnitzen an den Tag gelegt hatten. Unsere Ambitionen waren gross, doch die Realität brachte uns zurück in die sichere Obhut häuslicher Erste Hilfe.

Nachdem wir das Debakel mit dem Einbaum hinter uns gelassen hatten, richteten wir unsere unermüdliche Energie auf ein neues Projekt: eine Baumhütte. Der ältere Bruder von Ernst hatte eine solche bereits im benachbarten Waldstück errichtet – ein wahres Meisterwerk der Holzbaukunst. Doch trotz unserer Bewunderung für seine Konstruktion erlaubte er uns nie, auch nur einen Fuss in sein Refugium zu setzen. Getrieben von einer Mischung aus Neid und dem Wunsch nach einem eigenen Rückzugsort, beschlossen wir, unsere eigene Baumhütte zu errichten. Mit viel Enthusiasmus und einer Kiste voller Nägel machten wir uns an die Arbeit. Der erste Schritt war, einen robust wirkenden Ast an einen unserer Lieblingsbäume zu nageln. Ernst, stets bereit, sich für die Wissenschaft zu opfern, erklärte sich zum Testpiloten für die Tragfähigkeit unseres Bauprojekts. Mit einem beherzten Sprung versuchte er, seine ganze Energie in die Verankerung des Astes zu legen. Die Schwerkraft jedoch hatte andere Pläne und erteilte ihm eine schnelle, schmerzhafte Lektion in Physik. Mit einem dumpfen Knall endete Ernsts Flugversuch auf dem harten Waldboden. Eine ganze Woche lang erinnerte ihn jeder Sitzversuch schmerzlich an unser gescheitertes Unterfangen. Doch trotz des Fehlschlags und der Enttäuschung wuchs unsere Entschlossenheit nur noch mehr. Wir hatten das Scheitern erlebt, aber unser Traum von einer eigenen Baumhütte lebte weiter.

Als weitere Krönung unserer handwerklichen Kunst war der Heissluftballon. Ein Wunderwerk aus Seidenpapier, das wir mit kindlicher Zuversicht und einem Eimer Kleister zusammengezimmert hatten. Wir waren die stolzen Schöpfer eines Ballons, der zwar seltsam aussah, aber unsere Herzen mit Hoffnung füllte. Doch als wir ihn auf dem Schulplatz zum Fliegen bringen wollten, trat Mario, der Italiener und Baggerführer, auf den Plan. Mit der Eleganz eines Bulldozers zeigte er uns, wie man einen Heissluftballon «richtig» startet. Unter seinen fachkundigen Händen vollendete unser Ballon seine Existenz in einer traurigen Flamme des Scheiterns.

Ungeachtet der Misserfolge und der Reihe spektakulär gescheiterter Projekte liessen Ernst und ich uns niemals entmutigen. Mit jedem Fehlschlag wuchs unsere Entschlossenheit, es erneut zu versuchen. Unsere kindliche Begeisterung und unerschütterliche Zuversicht waren stärker als jede noch so bittere Niederlage. So packten wir jedes neue Vorhaben mit derselben Neugier und dem gleichen unbezähmbaren Tatendrang an, fest davon überzeugt, dass dieses Mal alles klappen würde.

Mit jedem gescheiterten Projekt sammelten wir wertvolle Erkenntnisse – oder zumindest grossartige Geschichten zum Erzählen. Und so blieb unsere Freundschaft, gestärkt durch gemeinsame Abenteuer und geteiltes Unglück, eine Bastion der Hoffnung, dass das nächste Mal vielleicht, nur vielleicht, der grosse Durchbruch gelingen könnte.

 

 

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