Wir leben gerade in interessanten Zeiten. Altbewährtes ist brüchig geworden. Ehemals eherne Werte schmelzen dahin wie Eis unter der Sonne. In den Chefetagen unserer globalen Wirtschaft und nationalen Politik herrscht emsige Ratlosigkeit. Die Rezepteverkäufer haben Hochkonjunktur, stochern jedoch im dichten Nebel.

Die Schweiz steckt in einem geistigen Vakuum. Die sorgsam aufgebauten Mythen greifen nicht mehr. Wer entwirft für eine ratlose Schweizer Bevölkerung ein neues Modell? Die heutige «geistige Elite» wohl kaum. Die heutige «politische Elite» wohl eher nicht. Die «Wirtschaftselite» schon gar nicht.

Eine jede Nation, jede Institution, sei es den Beteiligten bewusst oder nicht, baut auf geistigen Werten auf. Heute sind’s hauptsächlich Unwerte, die uns zu schaffen machen.

Immer wieder höre ich von einer «offenen, toleranten und solidarischen Schweiz». Diese Werte sind jedoch selten mehr als Lippenbekenntnisse. Worte sind billig. Sie kosten nichts. Ich kann hundertmal sagen: Hilfsbereitschaft ist grossartig, Ehrlichkeit, Redlichkeit sind wichtige Werte. Deshalb wird weder Hilfsbereitschaft, noch Ehrlichkeit, noch Redlichkeit ein Wert.

Werte haben nämlich immer ein Preisschild, um es nüchtern zu sagen. Wert ist etwas, wofür ich bereit bin, Mühe, Zeit und Geld aufzuwenden und anderes dafür zurückzustellen.

Was muss ich als Bürger dieses Landes davon halten, wenn ich weiss, dass die «Elite» zwar gerne Werte wie Toleranz, Offenheit, Solidarität in den Mund nimmt, sich selber jedoch gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft in eigenen goldenen Ghettos abschottet? Was soll ich davon halten, wenn sich die Politik nur noch selbst feiert? Am eigenen Mästen interessiert ist? Wie soll ich mich verhalten, wenn ich weiss, dass diese schönen «Neusprech-Worte» eigentlich das pure Gegenteil bedeuten?

Kann vielleicht die Volkskultur (traditonelle Kultur) angesichts der vorherrschenden Verunsicherung eine entscheidende Rolle spielen, gerade weil sie auf die Wurzeln unserer Herkunft und Tradition zurückgreift? Gewinnt die Volkskultur wieder an Bedeutung, weil etwa die wirtschaftliche Identität ins Wanken gerät? Ich meine schon. Denn die kulturelle Identität ist jene, die übrig bleibt, wenn die anderen Identitäten in die Krise geraten: Die Politik, die Wirtschaft, die Umwelt.

Vielleicht lehrt uns die sich abzeichnende Weltwirtschaftskrise, dass wir uns wieder den wahren Werten zuwenden sollten. Und genau da kann uns die Volkskultur kompetente Lehrerin sein. Volkskultur, sei sie im Gewand des Jodelliedes, eines berührenden Mundartgedichtes, eines natürlichen Heilmittels, will uns das Gute, das Aufbauende in Erinnerung rufen, will uns Denkanstösse geben, die uns weiterbringen. Will uns zeigen, dass wir Teil einer nährenden Urmutter sind.

Eine Mutter Natur, die beseelt ist und nicht nur Nahrung für den Leib, sondern auch Nahrung für unsere Seele hervorbringt.

Wahre Volkskulturschaffende wissen das und möchten diese Erkenntnis in Wort, Musik und Spiel weitergeben.

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