Die Vielfalt ist der eigentliche Schatz des Volkes, gleichsam das Volksvermögen. Was diese Vielfalt im Besonderen eint, ist die Sprache. Sie gibt in jeweiliger Besonderheit den Völkern ihren Charakter. Die Sprache kann deshalb auch als die «Seele des Volkes» genannt werden.

Wir erleben gerade eine Zeit der Gleichmacherei. Anstelle der Vielfalt (Volksvermögen) regiert immer stärker die Einfalt (Globalismus). Deshalb möchte ich diesen Beitrag der Sprache als Seele des Volkes widmen. Genauer gesagt: Den Volksdichterinnen und -dichtern früherer Tage.

Es werden sich wohl nur noch Wenige an das Pausenzeichen erinnern, das von 1926 bis 1966 im Radio Beromünster ertönte. Das legendäre melodiöse Pausenzeichen wurde durch ein mechanisches Werk erzeugt, ähnlich einer Musikdose, und spielte so die Melodie des alten Volksliedes «Zyt isch do».

Den Text zu diesem Volkslied verfasste der Solothurner Volksdichter Josef Reinhart. So wie Josef Reinhart der Volksdichter des Kantons Solothurn gewesen ist, so hatte damals praktisch jeder Kanton seinen hochgeschätzten Dichterfürsten.

Auch Frauen gaben vielerorts den lyrischen Ton an. Wie beispielsweise Sophie Hämmerli-Marti aus dem Kanton Aargau. Neben ihren Texten zu politischen und kulturellen Anliegen der Schweiz war die Autorin in ihren Prosastücken auch eine frühe Kämpferin für die Emanzipation der Frau.

Oder der Schwyzer Dichter Meinrad Inglin, dem wir u.a. die beiden Filmklassiker «Der schwarze Tanner» und «Das gefrorene Herz» (Buchtitel: Begräbnis eines Schirmflickers) verdanken. Natürlich müssen wir auch Jeremias Gotthelf aus dem Bernbiet zu den eigentlichen Volksdichtern zählen. Seine Werke geniessen heute bekanntlich den Status von Weltliteratur.

Auch wir Oberdörfer hatten unsere Volks- bzw. Heimatdichterin: Ida Schweizer-Buser, 1925-1985, geboren und aufgewachsen in Niederdorf. Sie gilt als eine der bedeutendsten Mundartdichterinnen des Kantons Baselland und wurde für ihr dichterisches Werk mehrmals ausgezeichnet, unter anderem von der Literaturkommission Baselland im Jahr 1975. Ihre Texte wurden verschiedentlich auch vertont und finden besonders bei Trachten- und Jodelgruppen bis heute Anerkennung. Aus ihren Arbeiten spricht eine gesunde, optimistische Lebensauffassung, die Freude an der Natur und an der heimischen Mundart.

Ihr Gedicht über unsere Muttersprache hat es mir angetan. In diesem Gedicht beschreibt Ida Schweizer-Buser unsere heimische Mundart in kräftigen und doch sensiblen Farben und Bildern:

Eusi Sprooch

Si tönt gar ruuch, sait mere nooch,
und meint dermit mi Muetersprooch.
S isch wohr, si trait keis Sydegwand,
si trampet wiene Buur dur s Land,
im Halblyn und mit schwere Schue;
doch luegt si au an Himmel ue,
de Stärne noo – und gspürt, wie lycht
der Nachtwind fyn dur d Bletter strycht.

Isch mängisch Tag und mängisch Traum.
Si läbt im Bluescht vom Chirsibaum,
im Ehrifäld – am Räbehang –
im grüene Wald – im Vogelsang –
im Blüemli, dört am geeche Rai –
Si gumpet über Stock und Stei,
durs änge Tal geg d Juraflue –
Si ruuscht im Rhy, im Norde zue.

S isch Prosa drin und Poesie,
isch chüschtig, grad wie Brot und Wy.
Jo, eusen isch si, eus elei,
het s Wäse, wie mirs alli hai,
bold ärnscht, bold heiter, lut und lys.
S isch Härzbluet drinne, dys und mys. –
Vo ihrer Chraft und ihrem Klang,
do zehre mir s ganz Läbe lang.

Ja, Ida Schweizer-Buser war eine Autorin mit einer ganz eigenen dichterischen Sprache. Der (Heimweh-)Oberdörfer Thomas Schweizer hat sie übrigens in der Niederdörfer Heimatkunde, erschienen 2020, einfühlsam porträtiert.

Dann möchte ich noch einen weiteren Baselbieter Mundartdichter erwähnen. Zwar kein Oberdörfer, den ich jedoch dank unseres damaligen Lehrers Peter Meier-Schneider in frühen Jahren kennenlernen durfte. Es war der eigentliche Hauspoet des Baselbiets: Emil Schreiber, 1888–1972, Arisdorf, welcher in der damaligen Presse regelmässig zu träfem Worte kam. Im Brotberuf war er – für die damalige Zeit nicht ganz unüblich – Lehrer. Seine Freizeit gehörte jedoch ganz der Dichtkunst. So war er auch Verfasser des damals vielbeachteten Festspiels des Kantons Basel-Landschaft an der Landi 1939 in Zürich. Er steuerte auch einige Texte zu Jodel-, Frauen- und Männerchorliedern bei.

Im Gedicht «Dräck», welches wir als Viertklässler auswendig lernten, beschreibt Emil Schreiber in einfachen Versen das Wunder der uns nährenden Mutter Natur:

Dräck

’s Noochbers Chnächt, der Bänz – Gott hett in selig –
er hätt öbbis anders sölle geh.
Aer isch nit gsy, wie die meischte Buure.
Aer hett alls mit bsund’re n Auge gseh.

I chönnt allerhand vo ihm verzelle.
Jedes Tierli hett er pfläggt und g’schützt.
Er hett gsait: Gott heeb gar nüt erschaffe,
wo nit dämm und sälbem öbbis nützt.

Ei Uuspruch vom Bänz, dä isch mer blibe.
Aer hett gacheret. – I lauf derzue.
Boodelos ischs gsi, ’s het zümpftig dräcket,
und i rüef‘: «Bänz, hesch du dräckig Schueh!»

«Dräck!? – Das isch kei Dräck, du junge Schnuufer!
Strossedräck und Stubedräck, das gitts,
aber, was bim Ach’re n an de Schuehne
hange blybbt, das isch kei Dräck, potz Blitz! –

’s isch ess Stück vo euser Mueter Aerde,
vo n ere Mueter, die vo früeh bis spot
schafft, ass d’Möntsche chönne sy und wärde…
in der Aerde, nit im Dräck, wachst ’s Brot.»

Ja, das war er, der knorrige Schulmeister Emil Schreiber, der jedoch, sobald er ins Gewand des Dichters schlüpfte, ungemein feinsinnige Worte drechseln konnte. Wer würde sich heute noch getrauen, so gefühlvolle und berührende Dichtkunst zu verfassen?

 

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