Das Jodeln gilt als typische Singweise des Alpenraums. Es ist aber keineswegs auf Europa oder die Bergregionen beschränkt.

Auch in den Steppen Zentralasiens, den Tropenwäldern Afrikas und in der ozeanischen Inselwelt ist diese Gesangstechnik gebräuchlich. Wie alt das Jodeln jedoch ist, lässt sich nicht sagen. Ich vermute, seine Anfänge reichen weit zurück in die Frühgeschichte der Menschheit. Allerdings ist es mir nicht möglich, diese Vermutung zu untermauern. Es fehlt an archäologischen Zeugnissen oder an Berichten, die uns darüber informieren könnten.

Das Alter des (organisierten) Verbandsjodelns in der Schweiz lässt sich jedoch auf exakt 112 Jahre beziffern. 1910 wurde nämlich auf Initiative des bernischen Jodlervaters Oskar Friedrich Schmalz die Schweiz. Jodlervereinigung gegründet, aus der 1932 der Eidg. Jodlerverband hervorging. Diese Gründung war auch eine Kampfansage gegen die damals «grassierende Tirolerei» und die Aufforderung zur «Pflege eines schweizerischen Jodelgesanges».

Obwohl in der alpinen und voralpinen Schweiz seit jeher gejodelt wurde, galt das Jodeln – heute unbestritten der Schweizer Nationalgesang – bis nach 1900 allgemein als typische Tiroler Spezialität. In Europa zogen seit Jahrzehnten so genannte Tiroler Sängergruppen durch die Konzertsäle und Varietés und gaben in folkloristischer Aufmachung Jodelgesänge zum Besten. Auch in der Schweiz hatten die Tiroler Jodlergruppen Erfolg. Nach ihrem Vorbild begannen immer mehr Schweizer als so genannte «Nationalsänger» aufzutreten und in bunten Fantasiekostümen die Tiroler Salonjodler zu imitieren. Städter und Touristen erfreuten sich an dieser Pseudofolklore.

Ein Problem galt es für den jungen Verband zu lösen. Es fehlte eindeutig an Jodelliteratur. Dieses Dilemma löste wiederum der bereits erwähnte Schmalz mit dem anno 1913 veröffentlichten ersten Band seiner Jodelchorlieder. Er schuf damit jene gesuchte Gattung einer spezifisch schweizerischen Liedform, die sich auch im Chor singen liess. Schmalz, selber ein hervorragender Jodler, versah alte Volkslieder mit eigenen Jodelteilen oder erfand selber neue, einfache Lieder, denen er bestehende oder eigene Jodel anhängte.

  • Ein solches Jodellied zerfällt in der Regel in den Lied- und Jodelteil. Dies trifft sowohl beim Chorlied als auch beim Solo- und Duettlied zu. Dem Liedteil liegt eine zwei-, drei- oder mehrteilige, dem Jodel meist eine zweiteilige Form zugrunde. Die Chorlieder sind durchwegs vierstimmig gesetzt, der Jodelpart fünf- bis sechsstimmig.
  • Die auf Dur-Harmonie aufgebauten Melodien finden gelegentlich auch Ausweitungen nach den Moll-Harmonien der zweiten oder sechsten Stufe. Die Jodellieder sind grundtönig, die Harmonie baut auf die I., IV. und V. Stufe auf mit Übergängen zu den Tonarten der Dominante und Subdominante.
  • Die Melodien zeichnen sich meist aus durch einfache Thematik, jedoch mit viel lyrischer und dramatischer Ausdruckskraft. Rhythmisch sind sie einer bestimmten Metrik verhaftet und dem «Volksempfinden» angepasst. Die Stimmenführung ist natürlich und einprägsam. In vielen Liedern wird die schlichte Homophonie durch thematische Gegenüberstellungen und Versetzungen aufgelockert.

Heute pflegen übrigens ca. achthundert Jodlerklubs das Jodellied und wenn wir Schweizer unsere geheime Liebe fürs Jodeln auch selbstbewusst im Aussen zeigen, wird des Jodlerwesen mindestens weitere hundert Jahre Bestand haben. Garantiert.

 

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