Kurz vor dem eidgenössischen Jubeltag ein paar Worte zur traditionellen Kultur (Volkskultur) und, obwohl ich weiss bzw. viel darüber gelesen habe, dass eben diese «Volkskultur» nur erfunden worden ist, um den jungen Bundesstaat Schweiz zu einen, möchte ich doch noch einen wichtigen Aspekt, der im wissenschaftlichen Diskurs vollständig untergeht, herausschälen.

Die oft besungene und in blumigen Worten beschriebene «alpine Kultur der Schweiz» deckte damals, als sie ins Bewusstsein der damaligen Elite eindrang, später mit etwelchem Aufwand auch in die «Volksseele» einsickerte, etwas Fundamentales auf:

Die Naturromantik, die schwärmerische Naturbegeisterung, wie sie vor allem in gehobeneren städtisch-höfischen Milieus um sich griff.

Nicht ganz unschuldig daran war beispielsweise, nebst vielen anderen, der Reichsgraf Friedrich Leopold zu Stolberg, der im Jahr 1775 zusammen mit Goethe eine Schweizer Reise unternahm und anschliessend begeistert zurückblickte:

«Grosse schweizerische Bilder steigen mir auf vor meiner Fantasie, ich durchreise noch einmal dieses Land der grossen Natur und der reinen Menschheit. Ich höre den Gotthard rauschen mit hundert Katarakten, sehe vom Gipfel des Rigi noch einmal die Sonne untergehn über dreizehn Seen, sehe den grünlichen von Felsen eingeschlossenen Wallenstädter See, in welchen sich über eichenbuschbehangene Klippen silberne Ströme stürzen mit lautem Getöse, sehe die unbestiegnen, von ewigem Schnee bedeckten Alpen, besuche die Schlachtfelder, wo eine Hand voll Helden ganze Heere vertilgte, höre in fruchtbaren Tälern das Geläute der Herden, von welchen sich nähren die glücklichsten und besten Menschen, Menschen frei wie die Adler Gottes und einfältig wie die Tauben.»

Das einfache Volk jedoch teilte seine Sicht der Dinge ganz sicher nicht. Vielmehr war ihm die Natur nur widerliches Hindernis, Gegenspielerin im steten Bemühen, dem kargen Boden Essbares abzugewinnen.

Das alpine Gebirge war dem einfachen Volk lediglich Hort des Bösen, eine dem Menschen verschlossene Welt und bevölkert von bösen, übermächtigen Kräften.

Was sagt uns nun diese Geschichte?

Um mich noch einmal der Worte Goethe’s zu bedienen:

«Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters».

Oder nüchterner ausgedrückt: Es gibt keine objektive Welt, obwohl das mit grosser Kühnheit immer wieder behauptet wird.

Unsere Erfahrungswelt können wir nur durch unsere subjektiv geprägte Brille betrachten.

Das ist mit ein Grund, weshalb ich hier in diesem Blog immer wieder auf Aspekte der traditionellen Kultur eingehe. Denn diese subjektiven Erlebenswelten dieser traditionellen Kultur existieren für mich tatsächlich.

Für die Einen mögen sie nur ärgerliches Ewiggestriges sein, Andere wiederum erleben diese Kultur als durchaus bereichernd für die eigene Psyche.

So wie Kunstschaffende ihre Umwelt mit ganz anderen Augen sehen, mit einem gänzlich anderen Empfinden erleben als beispielsweise ein Zürcher Bankgnom, so ist’s halt auch mit der vielbesungenen Älplerromantik.

Es gereicht mir ganz sicher nicht zum Schaden, wenn ich der Welt, die mich umgibt, und deren Teil ich bin, mit kindlich-magischem oder auch künstlerischem Erleben begegnen kann, dadurch das Staunen wieder neu entdecke und dabei erfahre, dass auch ich in meiner (subjektiven) Welt eine bedeutende Rolle spiele.

 

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