Als Kind habe ich die heute so übliche Weihnachtshektik kaum verspürt. Damals in den 1960er Jahren drehte sich der Weltenlauf noch um einige Zacken gemütlicher.

Die alten Leute, damals hat man sie noch zahlreich im Dorfe angetroffen, denn Altersheime waren rar, schlurften bedächtig durch die verschneiten Strassen, bestaunten die geschmückte Weihnachtstanne bei «Chrämer Turis» und freuten sich auf einen gemütlichen Heiligabend im Kreise ihrer Familie.

Doch es gab auch einige ältere Menschen, die alleine wohnten und deshalb auch über die Festtage meist alleine blieben. Den alleinstehenden «Wirthaushöckeler» machte dies nicht viel aus. Mindestens eine Beiz hatte damals für sie geöffnet und sie konnten dann auf ihre Weise Heiligabend feiern.

Für die anderen einsamen Seelen, die nicht ins Wirthaus wollten, erbarmten sich ein paar Familien und sie wurden von ihnen zum gemeinsamen Feiern eingeladen.

Bei uns zuhause war das zwar nicht üblich. Doch an ein entsprechendes Ereignis kann ich mich gut erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.

Zuerst kam der «Chrämer-Turi-Paul» angeschlichen. Im geflochtenen Korb trug er eine Flasche sauren Most mit sich. Der hatte es in sich. Der Most war so sauer, dass nicht mal mein Vater ihn trinken konnte. Und das wollte etwas heissen!

Zuerst ging der «Chrämer-Turi-Paul» in die Werkstatt meines Vaters und stellte ihm voller Stolz seinen unsäglichen Most auf die Hobelbank. Mein Vater bedankte sich überschwänglich und versicherte ihm immer wieder, dass er dann diesen Most erst im neuen Jahr versuchen wolle. Es wäre doch eine Schande, dieses gute Tröpfchen schon jetzt zu trinken.

Dann wollte Paul noch nach oben. Er müsse uns noch ein bisschen über Jehova «brichten». Das sei gerade jetzt ganz wichtig. Der Paul war nämlich aktiver «Zeuge Jehovas» und liess kaum eine Gelegenheit aus, um uns Heiden zu bekehren.

Mein Vater verdrehte die Augen, biss jedoch in den sauren Apfel und geleitete den Paul in die gute Stube. Zu lange würde er wohl nicht bleiben, da die «Zeugen Jehovas» Weihnachten nicht feiern dürfen.

Doch was traf er in der guten Stube an? Zwei nette, etwas beleibte Damen in seltsamer Bekleidung sassen gemütlich auf dem Sofa und naschten glückselig Weihnachtsgebäck.

Meine Mutter zischte meinem Vater ins Ohr: «Die sind einfach hereingekommen. Sie wollten uns nur frohe Weihnachten wünschen!» Diese beiden Damen waren übrigens die Schwestern von «Chrämer-Turi-Paul» – Amalie und Roseli.

Jetzt ging’s los, Paul las uns aus einem Traktätchen vor. Seine beiden Schwestern assen unaufhörlich Änisbrötli, Brunsli und Zimtsternen.

Doch plötzlich klingelte es an der Haustüre. Meine Mutter öffnete die Tür und begrüsste ein weiteres Dorforiginal in der Gestalt vom «Traktore-Noldi-Frieda».

Ohne Umschweife kam auch sie in die gute Stube, bediente sich ungefragt aus der Gutzibüchse, schaute den Paul durchdringend an und meinte zu ihm: «Paul, hör‘ mir nur mit diesem «Stündeler-Zeugs» auf. Heute ist die Geburt unseres Herrn und das genügt mir.»

Ich seh‘ es noch genau vor mir, wie der Paul wie vom Donner gerührt sein Traktätchen fallen liess und die Frieda mit offenem Mund anglotzte. Dann machte er stillschweigend rechtsumkehrt und verliess unser Haus.

«Dem hast Du’s aber gezeigt, Frieda!» meinten seine beiden Schwestern, die natürlich froh waren, für einmal von seinen Frömmeleien befreit zu sein.

s Traktore-Noldi-Frieda

«Jetzt wird musiziert», befahl Frieda. Sie klaubte unter ihrem weiten Rock eine Blockflöte hervor. Dann schaute sie meine Mutter mit strengen Augen an und befahl ihr, meine beiden Schwestern zum Musizieren zu holen.

Die beiden hatten sich nämlich schnurstracks in ihren Zimmern verkrochen, als die «Chrämer-Turi-Schwestern» auftauchten. Meine Mutter holte sie also aus ihren Zimmern und widerstrebend gehorchten sie dem Anliegen von Frieda.

Sie musizierten wirklich schön und es war anrührig mitanzusehen, wie alle in der Stube glänzende Augen bekamen.

Dann packte Frieda die Blockflöte wieder unter ihren Rock und verkündete stolz, dass sie jetzt noch andere Familien besuchen müsse.

Um die Gutzis zu verdauen, wünschte sie sich noch einen währschaften Schnaps, den ihr mein Vater bereitwillig einschenkte. Dann verabschiedete sie sich und auch die beiden «Turi-Schwestern» taten es ihr gleich.

Jetzt mussten wir Kinder die Stube räumen, denn das Christkind wollte uns  doch den Christbaum hinstellen und schmücken. Als wir Kinder dann die Stube wieder betreten durften, wunderten wir uns über die geöffneten Fenster. Die Aufklärung folgte sogleich:

Weder Roseli, noch Amalie, geschweige denn Paul, noch Frieda hatten zuhause eine Bademöglichkeit. Und so duftete dann unsere gute Weihnachtsstube noch weit über Weihnachten hinaus nach diesem unerwarteten Besuch.

 

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