Wie habe ich doch als Kind so gerne den Geschichten meines Vaters gelauscht. Er war unübertrefflich in seinen Erzählungen aus früheren Zeiten.

Er erzählte mir Geschichten über die tapferen Eidgenossen, die sich jeweils todesmutig gegen einen übermächtigen Feind stemmten und siegreich aus den Schlachten hervorgingen. Dann auch über die aufmüpfigen Baselbieter, die sich immer wieder gegen die hohen Herren aus Basel auflehnten. Natürlich auch von wackeren Oberdörfern; insbesondere vom Leinenweber Ueli Schad, welcher für seinen uneigennützigen Einsatz zugunsten des unterdrückten Volkes mit einem schmählichen Tode bezahlen musste.

Eine seiner Geschichten ist mir anlässlich des Eidgenössischen Schwingfestes in Pratteln 2022 wieder in den Sinn gekommen. Es war eine Geschichte über einen bärenstarken Oberdörfer, der als gefürchteter Turnerschwinger sämtliche Gegner ohne viel Federlesens auf den Rücken warf.

Begeistert erzählte mir mein Vater von diesem Mann, welcher Mitglied des Turnvereins Oberdorf war und auch als Nationalturner bedeutende Siege errang. Dann wurden seine Augen feucht und er schilderte mir äusserst lebhaft, wie dieser Oberdörfer anno 1923 (25./26. August) in Vevey Schwingerkönig wurde. Leider habe er dannzumal für den Schwingklub Zürich bzw. den Nordostschweizerischen Schwingerverband gearbeitet, meinte mein Vater bedauernd. Mir machte das jedoch nichts aus. Denn für mich blieb ein Oberdörfer für immer ein Oberdörfer!

Karl Thommen, 1892-1968

Dieser bärenstarke Oberdörfer hiess mit Namen Karl Thommen, 1892-1968. Er wuchs in Oberdorf auf, war wie bereits erwähnt erfolgreicher Nationalturner im Turnverein Oberdorf. Leider entsinne ich mich nicht mehr, welchem Thommen-Geschlecht er entstammte. Ich bin mir jedoch sicher, dass mir damals mein Vater den zutreffenden Dorfnamen nannte.

Ab 1913 gehörte er zudem dem Baselbieter Kantonalvorstand der Schwinger an bis zur Übersiedlung nach Zürich.

Die Schweizer Presse überschlug sich damals in Superlativen über den Schwinger und Nationalturner Karl Thommen:

„Nachdem Karl Thommen 1922 am Eidgenössischen Turnfest in St. Gallen im heissen Kampf der Nationalturner mit dem ersten Kranz ausgezeichnet worden war, gab man ihm auch Chancen für die Erringung des Schwingerkönigtitels am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest 1923 in Vevey. Der aus dem Baselbiet nach Zürich übergesiedelte famose Techniker enttäuschte seine Anhänger nicht. Im Anschwingen brachte er dem starken Berner Sennen Rudolf Bigler mit prächtigem Kurz eine klare Niederlage bei, rannte aber im zweiten Gang umsonst gegen die eiserne Verteidigung des „Mutzen“ an. Wehrlos erlag der Berner Oberländer Gottfried Luginbühl im Ausschwingen zweimal dem mächtigen Kurz Thommens. Der technisch bestens beschlagene Willy Kyburz von Oberentfelden, ein Bruder des noch gefürchteteren Ernst, beantwortete Thommens Züge im fünften Gang raffiniert mit Haken und Brienzer. Mit linkem hintern Gurtgriff und Abdrehen im Hüftschwung triumphierte der intelligente Thommen im ersten und dem gleichen Rezept, aber diesmal links aus dem Stand, im zweiten Gang des ersten Ausstichs. Aus dem Dreierpaar Arnold Baudenbacher (Interlaken) – Emil Aepli (Arbon) – Karl Thommen gingen die beiden Nordostschweizer gegen den Berner siegreich hervor. Den Schlussgang bestritten also Aepli, schwer und stark, sowie Thommen. Der Arboner sprengte den hochgewachsenen, sehr reaktionsschnellen Thommen im ersten Zug mit Oberschenkelgriff ab; Thommen entwischte flink. Wieder in frischen, guten Griffen, stemmte Thommen dank seiner überlegenen Grösse aufwärts und drängte zugleich nach vorn, um im gleichen Moment mit grösster Energie und Geschwindigkeit in einen mächtigen Hüfter einzuspringen – fertig! Thommen war Schwingerkönig.“

Karl Thommens Lebendpreis damals: Ein Schaf!

Schon während seiner Aktivzeit als Schwinger waren es nicht nur seine körperliche Fitness und seine gestählte Statur, sondern seine geistige Regsamkeit, die ihm grosse Erfolge einbrachten. All diese Fähigkeiten, die sich gegenseitig ergänzten, führten zur Tatsache, dass Karl Thommen, sowohl als Schwinger als auch im administrativen Bereich, die oberste Sprosse erreichte. 1932 wurde er nämlich Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Das Amt des Obmanns versah Karl Thommen mustergültig bis zum Jahre 1941. Nach seinem Rücktritt als Obmann wurde ihm die verdiente Ehrenmitgliedschaft des Eidgenössischen Schwingerverbandes verliehen.

1968 verstarb Karl Thommen, ein Mann von seltener Willenskraft, ein Planer und Kämpfer, der dem Eidgenössischen Schwingerverband in beispielloser Treue gedient hatte.

Im nächsten Jahr – also im August 2023 – jährt sich dieses denkwürdige Ereignis zum hundertsten Mal. Vielleicht ehrt die Gemeinde Oberdorf ihren bärenstarken Bürger mit einer kleinen Gedenkfeier?

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