Im Baselbieter Kettenjura rund um den Bölchen ist der Gämsebestand im Kanton am grössten. Der Bezirk Waldenburg ist denn auch der Ursprung der Baselbieter Gämsenpopulation. In den Jahren 1959 und 1960 wurden hier auf Bestrebungen der staatlichen Kommission für Natur- und Heimatschutz zwölf Gämsen aus dem Berner Oberland ausgesetzt.

Heute bevölkern wohl an die 200 Gämsen dieses Gebiet. Manchmal wagen sich die Tiere sogar bis in die Dörfer hinein. Kürzlich wurden einige Gämsen an der WB-Station Hirschlang in Niederdorf gesichtet. Dieses ungewöhnliche Verhalten könnte darauf hindeuten, dass die Gämsen vor Raubtieren wie dem Luchs oder möglicherweise dem Wolf (?) fliehen.

Wie kam es dazu, dass diese majestätischen Tiere im Frühjahr 1959 und 1960 in das Gebiet Gerstel–Rehhag ausgewildert wurden? Die Geschichte beginnt mit den ambitionierten Bestrebungen der staatlichen Kommission für Natur- und Heimatschutz, die durch die Unterstützung der Direktion des Innern (heute: Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion), der Baudirektion (heute: Bau- und Umweltschutzdirektion) und der betroffenen Gemeinden Wirklichkeit wurden.

Die ersten Freilassungen

In den Monaten April und Mai 1959 und 1960 wurden insgesamt 12 Gämsen – vier Böcke, fünf Geissen und drei Jährlinge – im Gebiet Gerstel in Waldenburg ausgewildert. Die Tiere stammten aus den Banngebieten Justistal, Kiental und Urbachtal im Berner Oberland. Die Jagdbehörde des Kantons Bern unterstützte dieses Projekt durch den Einfang und die Lieferung der Tiere.

Das ideale Habitat

Das Gebiet Gerstel – Rehhag – Geissfluh bot ideale Bedingungen für die Ansiedlung: Felsen, Schutthalden, bewaldete Steinhalden, Weiden und Wasserquellen waren reichlich vorhanden. Auf einer Höhe zwischen 600 und 1120 m ü. M. erstreckt sich das Gebiet von Waldenburg bis zur Lauchfluh und bietet den Gämsen etwa 2 km² (200 ha) abwechslungsreichen Lebensraum.

Herausforderungen und Anpassungen

Trotz der guten Voraussetzungen gab es auch Herausforderungen. Ein stark frequentierter Höhen- und Wanderweg führte durch das Gebiet, und die steilen Felswände des Gerstels eigneten sich hervorragend für Kletter- und Abseilübungen. Zudem wurden Teile des Gebiets bis dahin häufig für Gefechtsschiessen genutzt. Der Schulkommandant von Liestal sperrte jedoch in vorausschauender Weise den zukünftigen Lebensraum der Gämsen für alle Schiessübungen.

Erste Beobachtungen und Anpassungen

Bereits nach wenigen Tagen wurden die ersten Gämsen im Bereich des Kilchzimmersattels gesichtet, obwohl sie auch am ursprünglichen Aussetzungsort blieben. Die Tiere wechselten rasch ihren Standort, ohne das Gebiet Gerstel – Geissfluh für längere Zeit zu verlassen. Zwei Gruppen bildeten sich: eine im Gerstel, die andere in der Lauchweid, Gemeindebann Eptingen.

Nachwuchs und Gruppenbildung

Schon kurz nach der Freilassung waren einige der Geissen trächtig. Die erste Geiss mit Kitz wurde am 3. Juni in der Lauchfluh gesichtet, das Kitz war erst wenige Tage alt. Bis Ende Juni wurden drei Geissen mit ihren Kitzen beobachtet. Mitte August bestand die Gruppe im Gerstel aus neun Tieren, darunter drei Jungtiere. Aufgrund der Trockenheit zogen die Tiere jedoch in die Lauchfluh und Geissfluh.

Ein erfolgreicher erster Winter

Der Winter verlief für die Gämsen im Gebiet Lauch- und Geissfluh ruhig. Ende Oktober konnten erstmals alle Tiere gemeinsam im Schnee beobachtet werden, was die Bestätigung brachte, dass fünf Jungtiere überlebt hatten. Die beiden älteren Böcke hielten sich während der Brunftzeit jeweils von den anderen fern, sodass die Brunft störungsfrei verlief.

Positive Entwicklung im zweiten Jahr

Im Frühjahr 1960 kehrten die Gämsen ins Gerstel zurück, als sich die Äsungsverhältnisse verbesserten. Die Gruppenstruktur änderte sich erneut, die älteren Böcke zogen sich zurück und die Geissen bildeten mit ihren Jungen wieder eine eigene Gruppe. Auch in diesem Jahr gab es sechs neue Jungtiere. Die Geissen setzten ihre Kitze bevorzugt im geschützten Gerstelgebiet aus.

Ausblick und Herausforderungen

Bis zum Herbst 1960 war der Bestand auf 23 Tiere angewachsen, darunter auch ein jüngerer, neu ausgesetzter Bock. Im Frühjahr 1961 wurde ein weiterer Zuwachs erwartet, da die im Frühjahr 1959 ausgesetzten Jährlinge nun brunftreif waren. Eine Herausforderung bleibt jedoch die geringe Scheu der Gämsen vor Menschen, was auf ihre Herkunft aus nicht bejagten Bannbezirken zurückzuführen ist. Trotzdem ist der Gesundheitszustand der Tiere ausgezeichnet und sie haben sich gut in ihrem neuen Lebensraum eingelebt.

Die Rückkehr der Gämsen in den Baselbieter Jura zeigt, wie erfolgreich Naturschutzprojekte sein können, wenn sie mit Engagement und Unterstützung der Gemeinschaft durchgeführt werden.

Fotohinweis: Jurablätter: Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde

 

 

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