Eine Sage aus meinem Heimatdorf hat mich beflügelt, eine Geschichte darüber zu schreiben. Es geht dabei um eine Magd aus der Oberdörfer Mühle, die an einem Samstagnachmittag auf der «Baselmatt» Bohnen hat pflücken müssen und beim Zvieri nehmen eingeschlafen und erst am Sonntagmorgen wieder erwacht ist. Meine Geschichte folgt jedoch nicht getreu der überlieferten Sage.

Just an einem Samstagmittag traf in der Mühle in Oberdorf die Kunde ein, es werde sich auf den morgigen Sonntag zur Mittagszeit ein Besuch aus Basel einstellen, die Schwester und der Schwager des Müllers mit ihren vier Kindern. Die Müllerin brauchte sich nicht lange den Kopf zu zerbrechen, was sie den Gästen vorsetzen sollte, um sie zufriedenzustellen, denn die Anmeldung sprach es deutlich aus:

«Unsere Wünsche lauten einzig und allein auf Schmalzbohnen mit Speck, dazu neue Kartoffeln und Gurkensalat und hernach für die Kinder Gugelhopf, für die Erwachsenen schwarzen Kaffee mit gutem Baselbieter Kirsch. Die Zigarren bringen wir selbst mit, da solche im Baselbiet doch nicht wachsen.»

Vreni, so hiess die Magd, liebte solche Besuche nicht, und sie sagte es auch offen heraus. Denn sie musste den ganzen Sonntagnachmittag in der Küche bleiben, um Geschirr abzuwaschen, und beim Abschiednehmen hatte niemand ein Dankeschön an sie.

So wurde Vreni am Samstag gegen Abend in die Bohnen geschickt. Der Gemüsegarten lag dieses Jahr auf einer ziemlichen Anhöhe auf der anderen Talseite in der «Baselmatt». Dort gediehen die Stangenbohnen prächtig und Vreni sollte pressieren, um vor acht Uhr wieder zu Hause zu sein.

Oben angekommen, huschte sie in die dichte Bohnenpflanzung und machte sich unverzüglich an die Arbeit. War Vreni guter Laune, so verrichtete sie etwas, war ihr aber etwas über die Leber gekrochen, so war ein störrischer Esel ein Waisenkind neben ihr.

Vom Bauerngehöft her, das beinahe am Waldrand lag, drangen scharfe, metallische Töne in gleichmässigen Abständen durch die abendliche Stille: der Knecht Franz dengelte seine Sense, um noch Futter für den Sonntag zu schneiden. Er hatte einen Augenblick aufgeschaut, um die Schärfe der Sense zu überprüfen. Das tat er, indem er zuerst mit dem Daumen über die Schneide fuhr und hernach mit der Spitze über seinen behaarten Arm strich. Scharf waren aber auch seine Ohren und Augen, denn er hatte Vreni erblickt, wie sie vom Weg abgebogen und in die Bohnenstauden geschlüpft war. Er kniff das rechte Auge zu, und ein wohlgefälliges Lächeln zuckte durch seine breiten Lippen. Schneller dengelte er weiter, um beizeiten Feierabend zu bekommen. Die Kühe waren gemolken, und des Meisters ältester Bub fuhr mit der Milch eben zu Tal in die «Chesi».

Die Sonne warf längere Schatten auf die Wiesen, als vor zwei Stunden. Franz schickte sich an zum Gehen, nahm das Futterfass, den hölzernen Behälter mit dem Wettstein vom Scheunentor, füllte ihn mit Wasser und hing ihn im Kreuz an den umgeschnallten Riemen, der seine Hosen in den Hüften festhielt, schwang die Sense auf den Rücken und stiess einen Jauchzer aus, den das fröhliche Abendlüftlein auf seine Flügel nahm und weithin über das grüne Gelände in die Tiefe trug.

Vrenis Arbeitseifer bekam einen sichtlichen Aufschwung, und ihre Finger nestelten die Bohnen aus dem dichten Laubwerk wie die Hände einer Spinnerin den Faden vom Spinnrocken.

Franz spähte nach den Bohnenstauden, wo er Vreni beim Bohnenpflücken wusste. Sollte er ihr helfen gehen, da sie die Bohnen zuoberst an den Stangen unmöglich erreichen konnte, indem er sie in die Höhe hob?

Er mähte Schwaden um Schwaden, wetzte die Sense und schwang sie von neuem durch den abendfrischen Klee. Der musste den Kühen schmecken, schier lief ihm selbst das Wasser im Munde zusammen. Hätte er darob einen Jauchzer ausgestossen, die Vreni hätte mit einem lauten «Hoiho!» geantwortet. Was kümmerte sie die Bäuerin, die im Garten vor ihrem Hause die Blumen begoss? Was der Bauer, der seinem Fuchs die Hufe und Füsse wusch? Vreni wusste, dass ihr die Bauersleute nicht hold waren, aber ihren Knecht Franz mochte sie gut leiden.

Nun schob Franz das gemähte Gras auf Haufen zusammen und lud den «Schneggen», ein in der Juragegend gebräuchliches Gefährt, das vorn auf zwei Radschuhen gleitet und in der Mitte zwei niedere Räder hat.

Mit einem raschen Sprung war er auf dem «Schneggen», um das aufgeladene Gras niederzutreten, lud dann fertig auf, nahm den Rechen zur Hand und zog mit weit ausholenden Zügen die verstreuten Gräser zu einem Haufen zusammen. Als er Ordnung geschaffen hatte, legte er Sense, Gabel und Rechen auf das Fuder und nahm das «Wagscheit», an das man sonst das Zugtier band, mit beiden Händen und zog die Futterlast selbst in die Scheune. Auf halbem Wege machte er Halt, obschon ihn nicht der Mangel an Schnauf oder die Müdigkeit dazu zwangen, lehnte sich an das Gefährt und kreuzte die Arme auf der Brust.

«Eigentlich hätte ich mit der Vreni ein leichtes Spiel, aber was dann? So wie mein Vater einer ist, will ich nicht werden. Meine Mutter sagte mir noch, als sie mir zum Abschied die Hand reichte: Bub, du weisst, dass es für ein Kind kein Schleck ist, einen Vater zu haben und doch keinen. Nimm dich zusammen und denk an mich.»

So zog Franz das Fuder Gras in die Scheune, lud es ab und begab sich in die Stube, wo die Meistersleute noch bei Tische sassen. Die Meisterin merkte, dass den Franz etwas beschäftigte, doch belästigte sie ihn nicht, um es zu erfahren. So löffelte er schweigsam die Rösti aus der Platte, trank seinen Kaffee und liess sich das neben seinem «Kaffeechacheli» gelegte Stück Käse schmecken, stopfte seine Pfeife und ging auf das Bänklein vor dem Haus.

Vrenis Korb war längst über den Rand mit den Schmalzbohnen angefüllt, die der Stolz der Müllerin waren und mit Speck, neuen Kartoffeln und Gurkensalat den Besuch aus Basel erquicken sollten. Nun setzte sich die keineswegs müde gewordene Bohnenpflückerin neben den Korb nieder und schaute nach Franz aus. Sie sah ihm zu, wie er das Fuder Gras nach Hause zog. Sah, wie er das Gras in die Scheune brachte und wartete auf ihn. Sie hoffte, er werde doch noch kommen, wurde aber des vergeblichen Wartens endlich müde und schlief ein, schlief so tief, dass sie beim Erwachen am Sonntagmorgen meinte, nur ein kurzes Schläfchen verbracht zu haben. Im festen Wahn, dass noch Samstagabend sei, machte sie sich auf den Heimweg.

Der Zeiger der Kirchenuhr stand auf Viertel vor acht Uhr, als sie der Kirche St. Peter ansichtig wurde. Sie wurde stutzig, als sie sonntäglich gekleidete Menschen erblickte und sogar der Sigrist in seinem besten Gewand einherkam, den Schlüsselbund zu Kirche und Glockenstube in den Händen.

«Ihr geht wohl den Samstag ausläuten», redete sie ihn an. Erstaunt blieb er stehen und gab zurück: «Nicht den Samstag ausläuten, sondern den Sonntag ein. Bist wohl verirrt in den Bohnenstauden, Vreni, und dein Kopf wird zwölf Stunden lang stillgestanden sein. Die Müllerin wartet auf die Bohnen. Das war aber ein langer Samstag, gelt Vreni!» Sprach’s und liess die plötzlich aus dem Samstag in den Sonntag hineingefallene Vreni ihren Heimweg machen.

Schwer zu ertragen ist der Spott; aber den einen Trost gibt es doch, dass das menschliche Leben weit kürzer währt, als der Spott, den Vreni zeitlebens wegen des langen Samstags über sich ergehen lassen musste.

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