Die Novembertage laden nicht gerade zu überbordender Lebensfreude ein. Regen, Nebel, wieder Regen. Die Sonne hält sich vornehm bedeckt. Der Novemberblues hält Einzug.

Es gibt jedoch etwas, was die Laune aufheitern kann. Es ist seit Jahrhunderten ein probates Mittelchen, dem Novemberblues ein Schnippchen zu schlagen. Es kostet nichts und ist doch wertvoll: Einander Geschichten erzählen oder vorlesen.

Es ist im November Mitte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gewesen. Es herrschte typisches Novemberwetter. Ununterbrochen regnete es und ich langweilte mich zutiefst.

Mein Vater werkelte vergnügt in seiner «Butik». Ich ging zu ihm runter und bestürmte ihn: «Bitte, bitte, erzähl‘ mir eine Geschichte!» Er legte den Hobel zur Seite, höckelte sich auf den Drehstuhl und begann in seiner unnachahmlichen Art, mir eine Geschichte aus seinem unerschöpflichen Fundus zu erzählen. Ich sass auf dem Holzboden, den Kopf in die Hände gestützt und lauschte gebannt seinen Worten. Er begann mit seinem üblichen Einstiegssatz: «Die alte Lüüt hei brichtet…» (die alten Leute erzählten…).

Er erzählte mir von einem armen Mann, der seinen Zehnten dem Landvogt nicht entrichten konnte. Des Landvogts Folterknechte holten diesen armen Mann des Nachts ab. Seine Frau und die Kinder schrien laut vor Angst und klammerten sich an ihren Vater. Es nützte jedoch nichts. Sie nahmen ihn mit auf die nahe Burg zu Waldenburg. Kurz vor den Toren der Burg riss er sich von seinen Folterknechten los und flüchtete in der dunklen Nacht Richtung Gerstelfluh. Die Folterknechte in ihren schweren Panzerhemden konnten ihm nicht folgen. Zitternd vor Angst und völlig ausser Atem versteckte er sich in einem Felsentor nahe des Gerstelmassivs.

«Tüüfelschuchi» – Blick durch das Felsentor ins Baselbiet (Fotonachweis: Adrian P. Jaton, Waldenburg)

Plötzlich tauchte eine dunkle Gestalt vor ihm auf. Verängstigt verkroch er sich noch tiefer in der Ausbuchtung. Doch die dunkle Gestalt kam immer näher. «Was machst Du hier in meinem Revier»? herrschte sie den zitternden Mann an. Ein ekliger, schwefliger Gestank verbreitete sich und der arme Mann konnte kaum atmen.

«Die Folterknechte des Landvogts haben mich gefangen genommen, weil ich den Zehnten dem Landvogt nicht zahlen konnte. Doch ich habe flüchten können. Nun bin ich hier. Bitte verschon‘ mich. Ich habe Frau und Kinder zuhause.»

Ein schauerliches Gelächter ertönte. Die unheimliche Gestalt stand nun direkt vor unserem armen Mann. «Weisst Du, wer ich bin»? fragte sie.

«Ich glaube schon, Du bist der Leibhaftige,» tönte es kleinlaut zurück.

«Ja, und ich bin der Herr deines Landvogts. Dank mir ist er reich, mächtig und ohne Gnade.»

Der arme Mann erschrak fürchterlich. Schrie auf und stürzte sich durchs Felsentor in die Tiefe.

Mein Vater seufzte tief und beendete die Geschichte mit dem Hinweis, dass der arme Mann erst Tage später von den Leuten im Tal entdeckt wurde. Tot. Die Augen immer noch schreckgeweitet. Seit diesen Tagen nennen die Waldenburgertaler dieses Felsentor «Tüüfelschuchi» (Teufelsküche).

Im Frühling sind wir beide zur «Tüüfelschuchi» gewandert. Ich habe diese Küche dann ganz genau inspiziert. Plötzlich hat mich eine Biene hinterrücks gestochen. Mein Vater meinte dazu nur lapidar:

«Siehst Du, das ist jetzt der Teufel gewesen.»

Titelbild: Ausblick auf «Sennhöchi» und «Gerstelfluh». Foto: Elvira Hirschi-Büschlen, Oberdorf BL

 

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