Die Figur des Sensenmannes, auch bekannt als Gevatter Tod oder Schnitter, ist eine tief verwurzelte personifizierte Allegorie des Todes, die ihre Wurzeln im Mittelalter hat.

Diese Figur, die in der westlichen Kultur zu einer Ikone geworden ist, wird meist als Skelett dargestellt, das mit einer Sense die Lebensfäden der Menschen durchtrennt und so ihren Tod bringt. Doch hinter dieser Darstellung verbirgt sich eine vielschichtige symbolische Bedeutung, die sich aus verschiedenen mythologischen und religiösen Traditionen speist.

Mythologische Ursprünge: Von den Schicksalsgöttinnen bis zu Saturnus

In der griechisch-römischen Mythologie waren es insbesondere die Parzen, die das Schicksal der Menschen bestimmten. Unter ihnen war es Atropos, die älteste der drei Schicksalsgöttinnen, die den Lebensfaden durchschnitt und so das Leben beendete. Diese Vorstellung, bei der Atropos oft mit einer Schere dargestellt wird, vermischte sich im Laufe der Zeit mit der Figur des agrarischen Gottes Kronos-Saturnus. Dieser wurde durch seine Verbindung mit Chronos zum Gott der Zeit und damit auch zum Symbol für Vergänglichkeit und Tod. Die Sichel, ein Werkzeug der Ernte, wurde so zu einem Attribut des Todes, das schliesslich in die Ikonographie des Sensenmannes einfloss.

Der Übergang in die Unterwelt: Thanatos und seine Gefährten

Neben der Rolle als Vollstrecker des Todes gibt es in der Mythologie auch die Funktion des Psychopomps, des Seelenführers. In der griechischen Mythologie übernahm der Gott Thanatos diese Aufgabe. Als Bruder des Schlafgottes Hypnos verkörperte Thanatos die sanfte Seite des Todes, während er die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt geleitete. Diese Götter wurden als Mittler zwischen der Welt der Lebenden und der Toten betrachtet und waren dadurch den Menschen näher als die unnahbaren Hüter der Unterwelt. Diese Vorstellung fand später auch Eingang in das christliche Verständnis des Todes.

Der Schnitter und die biblische Tradition

Die explizite Verbindung zwischen dem Tod und der Gestalt des Schnitters, eines Landarbeiters mit Sense, wurde in der Bibel hergestellt. Besonders deutlich wird dies im Gerichtswort des Propheten Jeremia, wo der Tod als Schnitter beschrieben wird, der die Menschen wie Garben auf dem Feld niederstreckt. Auch im Matthäusevangelium wird im Gleichnis vom Unkraut die Metapher der Ernte genutzt, um das Endgericht zu beschreiben. Hier werden die Engel als Schnitter dargestellt, die die Frommen vom Bösen trennen. Doch die einzige eindeutige Personifizierung des Todes in der Bibel erscheint im Buch der Offenbarung als der vierte Reiter der Apokalypse, der auf einem fahlen Pferd reitet.

Die mittelalterliche Ikonographie: Vom Bogenschützen zum Sensenmann

Im Mittelalter nahm die Darstellung des Todes verschiedene Formen an. Während der Tod in der spätmittelalterlichen Ikonographie oft als Bogenschütze oder Speerwerfer auftritt, etablierte sich der Sensenmann erst im Barock als dominante Figur. Die Sichel des Todes kam im Mittelalter kaum vor; häufiger wurde die weiterentwickelte Sense verwendet, die vor allem im 15. Jahrhundert immer wieder in den Händen des Schnitters zu sehen ist. Die Metapher der Ernte wurde somit zum zentralen Symbol für das Sterben, beeinflusst sowohl von biblischen als auch von antiken Traditionen.

Der Sensenmann in Kunst und Literatur

Die Figur des Sensenmannes fand nicht nur in der bildenden Kunst ihren Ausdruck, sondern auch in der Literatur. Bereits um 1220 erwähnt Caesarius von Heisterbach in seinem «Dialogus miraculorum» Darstellungen des Todes mit einer Sense. Im späten Mittelalter setzte sich der Sensenmann als nacktes oder leicht mit einem Leichentuch bekleidetes Skelett durch, besonders in den Darstellungen des Totentanzes. Auch in der Volksliteratur, wie im Lied «Es ist ein Schnitter, heisst der Tod» aus der Zeit des Dreissigjährigen Krieges, erscheint der Sensenmann als zentrale Figur.

Die Wandlung im Laufe der Jahrhunderte: Vom Skelett zum Kapuzenträger

Im Laufe des 17. Jahrhunderts wandelte sich die Darstellung des Todes. Das Leichentuch, das den Sensenmann anfangs umhüllte, entwickelte sich zu einem voluminösen Umhang, der später in eine lange Kutte mit Kapuze überging. Diese Kleidung sollte entweder den skelettierten Körper verbergen oder eine leere Hülle darstellen, die das Nichts des Todes symbolisiert. In den romanischen und slawischen Sprachen ist der Tod jedoch weiblich, sodass der Sensenmann oft als Sensenfrau wahrgenommen wird.

Der Dengelgeist: Eine alemannische Sagengestalt

Neben der allgemeinen Figur des Sensenmannes gibt es in den regionalen Überlieferungen auch spezifische Gestalten wie den Dengelgeist, eine alemannische Sagengestalt. Dieser bärtige Greis, der seine Sense auf dem Friedhof schärft, personifiziert ebenfalls den Tod. In der Darstellung des Mittelalters erschien der Dengelgeist oft als Gerippe, während Johann Peter Hebel ihn als Engel mit goldenen Flügeln und einem weissen Gewand beschrieb.

Die Symbolik des Todes im Wandel der Zeit

Die Figur des Sensenmannes und die damit verbundene Symbolik des Todes haben sich über die Jahrhunderte gewandelt, beeinflusst von mythologischen, religiösen und kulturellen Vorstellungen. Während der Tod in der Antike und im Mittelalter oft als eine transzendente Kraft dargestellt wurde, die über das Leben herrscht, wurde er im Barock und in der Neuzeit zunehmend als Personifikation des unerbittlichen Schnitters verstanden, der die Vergänglichkeit des Lebens symbolisiert. Diese vielschichtige Symbolik des Todes zeigt, wie eng die Vorstellungen von Tod und Vergänglichkeit mit den kulturellen und religiösen Vorstellungen der jeweiligen Epoche verbunden sind.

 

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