Früher war alles so einfach, so nett überschaubar. Zum Beispiel im engen Waldenburgertal, wo ich aufgewachsen bin. 

Man informierte sich hauptsächlich übers hauseigenen Käsblättli: Basellandschaftliche Zeitung (stramm bürgerlich), Landschäftler (moderat links), Basler Nationalzeitung (linksliberal), Basler Volksblatt (die Katholischen), Basler Nachrichten (ohne Baselbieter), Basler AZ (für ganz Linke) – und zur Abrundung gab’s noch den Anzeiger, das Gelbe Heft, das Meyer’s Modeblatt und den Alphorn-Kalender.

Für die Pflege des eigenen Weltbildes – es reichte höchstens bis nach Liestal, wo die «chaiben Höcheren» (die Oberen) sassen – genügten diese Postillen vollkommen.

Vorausschicken möchte ich, dass ich bereits in ganz jungen Jahren ein richtiger Zeitungs-Junkie gewesen bin.

Es waren übrigens dieselben Zeitungen, die mich als ganz Kleinen motivierten, das Lesen und Schreiben so nebenbei zu lernen. Ich konnte es nicht verputzen, dass sich die Erwachsenen täglich mit einem Haufen Papier vergnügten und ich hintenanstehen musste.

Mich faszinierte einfach alles, was mit dem geschriebenen und gedruckten Wort zu tun hatte.

Doch wieder zurück zum Eigentlichen:

Mein Vater arbeitete damals in einer Uhrenfabrik in Waldenburg. Er «büezte» (arbeitete) jahrzehntelang als Fabrikschreiner und es war sein tägliches Mantra, beim Mittagessen über die «verd… Bude» zu schimpfen. Seiner Meinung nach waren alle Vorgesetzten unfähig und nur dafür bezahlt, die «Bude» in den Konkurs zu reiten.

Ein Fragebogen wirft hohe Wellen

Eines Mittags schlugen die Wellen beim Mittagessen ganz hoch. Mein Vater wetterte ununterbrochen und konnte sich kaum beruhigen. Was war geschehen? Der neue kaufmännische Direktor, Sohn eines übermächtigen Vaters und Verwaltungspräsidenten der «Bude», hatte einen Fragebogen entworfen, den alle Mitarbeitenden auszufüllen hatten. Wer sich weigern würde, den würde er subito entlassen.

«Dieser Fötzelcheib, dieser elende Leuteschinder», keifte mein Vater, «was meint der eigentlich? Diese Fragen werde ich nie und nimmer beantworten. Der kann mich am A… lecken!»

Ich wusste natürlich, dass er das nie in die Tat umsetzen würde. Die damaligen «Büezer» waren nämlich, nicht anders als heute, zu ängstlich, ihren Job zu verlieren.

Ich habe dann für mich diesen Fragebogen durchgelesen. Sie waren schon delikat, diese Fragen. Sie verletzten eindeutig die Privatsphäre der «Büezer». Und für mich war klar: Diese Aktion muss und werde ich kippen. Der Fragebogen beschäftigte mich die nächsten Tage stark.

Ich musste einfach Öffentlichkeit herbeizaubern, um auf diesen «Schandfackel» aufmerksam zu machen.

Im Handumdrehen Öffentlichkeit hergestellt

Die zündende Idee kam mir plötzlich, als ich morgens zur Arbeit nach Liestal fuhr. In der legendären Schmalspurbahn, die wir liebevoll «Crèmeschnitten-Express» nannten (Waldenburgerbahn).

Natürlich, das war die Lösung. Ich musste diesen Personalbogen der Presse stecken.

So viel politisches Gespür hatte ich bereits, um zu wissen, dass ich diesen Primeur wohl kaum der bürgerlichen Presse stecken konnte. Da musste ich mich einer anderen Zeitung bedienen.

Ich schickte also eine Kopie des «Corpus Delicti» an die damalige Chefredaktorin der Basler AZ. Es war übrigens die legendäre » Toya Maissen. Eine Frau, vor deren Feder sich viele fürchteten. Das war noch eine Journalistin nach altem Schrot und Korn: Unerschrocken, kämpferisch und immer auf der Seite der Zukurzgekommenen. Wahrlich eine echte Genossin, ganz anders als die heutigen «Cüpli-Sozialisten»…

So also schickte ich die Kopie des Fragebogens an die Chefredaktorin der Basler AZ. Dann meinte ich noch, man hat ja nie genug, dass dieser unglaubliche Fall zu Waldenburg auch national besprochen werden müsste. Wer würde sich wohl dazu eignen?

Natürlich die Tat (Migros), welche damals als Boulevardblatt in Konkurrenz zum Blick erschien. Roger Schawinski war ihr streitbarer Chefredaktor, der die Konsumenten informieren und schützen wollte sowie einige Skandale aufdeckte.

Die zweite Kopie liess ich also unserem «Roschee national» zukommen. Und was dann folgte, war für mich ein einmaliges Lehrstück (noch) funktionierender 4. Gewalt. Die Toya und der Roschee rissen das Ganze gekonnt an. Schrieben von Leibeigenschaft der Uhren-Büezer.

[bctt tweet=“Leibeigenschaft der Uhren-Büezer.“ username=“hp_gautschin“]

Erfolgreiche Protestkundgebung

Es ging noch weiter: Beide Zeitungen riefen zu einer Protestkundgebung auf und die passierte dann auch tatsächlich.

Mit grossen Transparenten protestierten vor den Toren der Uhrenfabrik einige hundert Leute. Zu dieser Zeit waren wir in der Nordwestecke nämlich Profis in der Inszenierung von publikumswirksamen Demonstrationen (s. AKW-Bewegung).

Die Zeitungsmacher nützten diese Demo zusätzlich noch für die Propagierung ihrer eigenen Produkte und ich weiss aus verlässlichen Quellen, dass damit die Basler AZ beispielsweise einige Zusatz-Abonnenten aus dem Waldenburgertal akquirieren konnte.

Der kaufmännische Direktor keifte noch ein bisschen herum und strich dann resigniert die Segel. Doch er liess immerhin drohend verlauten, den Urheber dieser gezielten Aktion ausfindig zu machen und ihn höchstpersönlich «an den Galgen» zu liefern!

Mit zwei einfachen Briefen an die Presse – mit dem Hinweis, dass die mehrheitlich bürgerliche Presse an einem solchen Primeur aus verständlichen Gründen nicht interessiert sei –  war es mir damals möglich gewesen, eine Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen.

Beim heutigen Medien-Einheitsbrei wäre solches nicht mehr denkbar. Schade, denn gerade in den heutigen turbulenten Zeiten wäre eine funktionierende 4. Gewalt dringendst nötig.  Doch eben: Die vierte Gewalt hat vor Jahren schon abgedankt.

PS: Viele Jahre später habe ich dann mit eben diesem Direktor ein paar Fläschchen Wein gezwitschert und in weinseliger Stimmung das Gespräch sachte auf diese Aktion gelenkt. Der Direktor i.R. seufzte nur und meinte, dass er da wohl den Bogen überspannt habe. Er habe damit einfach seinem Vater beweisen wollen, dass er denn auch «Pfeffer im Arsch» habe. Es würde ihn allerdings immer noch interessieren, wer der Urheber dieser grossangelegten Aktion gewesen sei. Der habe immerhin etwas von Propaganda verstanden…

Nein, ich habe mich nicht geoutet!

 

 

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