In der Baselbieter Gemeinde Ettingen und den Aargauer Gemeinden Sulz und Gansingen erwacht jedes Jahr zu Pfingsten ein aussergewöhnlicher Brauch zum Leben, der die Grenzen zwischen Natur und Kultur, Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen lässt. Der Pfingstblitter ist ein Ritual voller Leben, Lachen und lebhafter Tradition, das tief in der lokalen Kultur verwurzelt ist.

Ein Spektakel aus Natur und Übermut

An Pfingsten verwandeln sich die jungen Männer dieser Gemeinden durch eine symbolische Metamorphose in Gestalten, die an den Grünen Mann erinnern: Sie kleiden sich in frisch geschnittenes Buchenlaub und werden so zu lebenden Bäumen, die durch die Gassen streifen. Dieser Prozess des Verkleidens bildet eine Brücke zur Legende des Grünen Mannes, einer Figur, die Fruchtbarkeit und das Erwachen der Natur symbolisiert.

Rituale des Wassers und der Fruchtbarkeit

Die Pfingstblitter, zurückgekehrt aus dem Wald, initiieren ein schelmisches Spiel: Sie fangen junge Frauen, oft begleitet von Kreischen und Lachen, und werfen sie in die nächstgelegenen Brunnen. Diese Tradition, obwohl heute eher symbolisch und spielerisch ausgeführt, wurzelt in alten Fruchtbarkeitsritualen, bei denen Wasser eine reinigende und segnende Rolle spielte.

Ein Fest der Gemeinschaft und des Frohsinns

Während der Pfingstfeierlichkeiten herrscht eine ausgelassene Stimmung, geprägt von Verfolgungsjagden und heiteren Szenen. Die in Laub gekleideten Männer – oft als «wandelnde Büsche» beschrieben – geniessen nach ihrer anstrengenden «Jagd» Erfrischungen wie Bier und selbstgebrannten Quittenschnaps. Diese Elemente der Feier zeigen, wie tief der Brauch im sozialen Leben der Gemeinde verankert ist.

Tradition im Wandel

Früher wurden die Pfingstblitter am Ende des Tages selbst ins Wasser geworfen. Heute hat sich die Tradition dahingehend gewandelt, dass nun die «Pfingstsprützligen» auf der Hut sein müssen. Sie können jederzeit von Jägern zu Gejagten werden. Dennoch bleibt das freiwillige Bad im Brunnen ein zentraler und unveränderter Teil des Brauchtums.

Zum Abschluss des Tages erhalten die durch und durch nassen und erschöpften Pfingstblitter eine wohlverdiente Mahlzeit, ein Zeichen der Gemeinschaft und des Dankes, das die Strapazen des Tages belohnt.

Herkunft des Brauchs

Der Pfingstblitter hat seine Wurzeln wahrscheinlich in heidnischen Frühlings- und Fruchtbarkeitsritualen, die mit der Christianisierung in die Pfingsttradition integriert wurden. Der Grüne Mann, eine mythische Figur, die Fruchtbarkeit und das Erwachen der Natur symbolisiert, steht im Zentrum dieses Brauchs. Die Verkleidung in Buchenlaub und das damit verbundene Ritual erinnern stark an diese Figur und ihre symbolische Bedeutung.

Vergleich mit ähnlichen Bräuchen

Der Maibaum in Deutschland und Österreich

In vielen Teilen Deutschlands und Österreichs wird am 1. Mai der Maibaum aufgestellt. Dieser Brauch symbolisiert Fruchtbarkeit und Wachstum. Der Maibaum, oft mit bunten Bändern geschmückt, wird in der Mitte des Dorfplatzes errichtet. Das Aufstellen des Baumes ist von zahlreichen Feierlichkeiten begleitet, darunter Tänze und Musik. Ähnlich wie der Pfingstblitter ist der Maibaum ein lebendiger Ausdruck der Gemeinschaft und der Verbindung zur Natur.

Beltane in Irland und Schottland

Beltane ist ein keltisches Frühlingsfest, das hauptsächlich in Irland und Schottland gefeiert wird. Dieses Fest markiert den Beginn der warmen Jahreszeit und beinhaltet Feuerzeremonien, Tänze und das Schmücken von Bäumen und Sträuchern. Die Teilnehmer springen über Feuer, um Reinigung und Fruchtbarkeit zu erbitten. Der symbolische Charakter von Beltane, der die Wiedergeburt und das Erwachen der Natur feiert, ähnelt dem Pfingstblitter-Ritual.

Holi in Indien

Das indische Frühlingsfest Holi ist bekannt für seine farbenfrohen Feierlichkeiten, bei denen Menschen sich gegenseitig mit buntem Pulver bewerfen. Holi feiert den Sieg des Guten über das Böse und das Ende des Winters. Wie der Pfingstblitter-Ritus beinhaltet auch Holi Elemente von Wasser und spielerischen Ritualen, die Gemeinschaft und Freude betonen.

Flora in Rom

Das Fest der Flora, eine antike römische Feier zu Ehren der Göttin der Blumen, Flora, fand Ende April bis Anfang Mai statt. Es beinhaltete festliche Prozessionen, Theaterspiele und Blumenschmuck. Ähnlich wie beim Pfingstblitter-Ritual wurden auch hier Fruchtbarkeit und das Wiedererwachen der Natur gefeiert.

Ein lebendiges Kulturerbe

Der Pfingstblitter in Ettingen, Sulz und Gansingen ist ein lebendiger Ausdruck lokaler Kultur, der nicht nur die Verbundenheit mit der Natur feiert, sondern auch das gesellschaftliche Miteinander stärkt. Durch diesen alten Brauch werden die Geschichten und Mythen der Vergangenheit aufrechterhalten und gleichzeitig neu interpretiert, sodass sie auch in der modernen Gesellschaft weiterleben können. Dieser Brauch ist nicht nur eine Hommage an den Grünen Mann und die Kräfte der Natur, sondern auch ein lebhaftes Fest der Lebensfreude und der Gemeinschaft.

 

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