In den 1970er Jahren war die Frage nach dem richtigen Leben keine akademische Spielerei. Sie war Teil unseres Alltags.
Wir waren jung, politisiert, geprägt von Umweltbewegung, Anti-Atomkraft, Friedensdemonstrationen – und von der Ahnung, dass der eingeschlagene Weg der westlichen Gesellschaft in die Sackgasse führen könnte.
Natürlich diskutierten wir. Stundenlang, oft bis in die Nacht hinein. Über Wachstumskritik, Kapitalismus, Verteilungsgerechtigkeit. Es ging nicht um Ideologien, sondern um Haltungen. Um das, was wir als richtig empfanden – auch wenn uns vieles noch fehlte: an Lebenserfahrung, an Überblick, an innerer Ruhe.
Eines der Themen, das immer wieder auftauchte, war der Besitz. Die Frage, wie viel man wirklich braucht. Was man teilen kann. Und ob es ein anderes Wirtschaften geben könne – jenseits von Konkurrenz und Konsum.
Vor kurzem fiel mir ein Buch in die Hände, das ähnliche Fragen aufgreift – aber im Ton und Kontext des 21. Jahrhunderts: «Ethify yourself!» von Roland Alton, Medienforscher und Mitgestalter der Creative Commons Austria. Der Titel klingt wie ein Aufruf zur Selbstverbesserung in Zeiten digitaler Dauerverfügbarkeit. Tatsächlich geht es dem Autor um eine neue Ethik – für den Alltag, für die Wirtschaft, für die Medien. Um einen Bewusstseinswandel, der nicht moralisiert, sondern befähigt.
Ich las ein paar Kapitel – und konnte mich des Eindrucks nicht erwehren: Vieles davon kam mir bekannt vor. Nicht nur inhaltlich, auch im Geist. Der Appell, Verantwortung zu übernehmen. Weniger zu konsumieren. Anders zu leben.
Hat’s gefruchtet? Diese Frage stellte ich mir unweigerlich. Auch in Bezug auf uns selbst. Unsere Generation. Unsere damaligen Gespräche. Unsere Hoffnungen.
Dann erinnerte ich mich an ein Zitat, das mich nie ganz losgelassen hat. Es stammt von Ohiyesa* (Charles Eastman), Arzt, Schriftsteller und Denker der Dakota (Santee Sioux):
«Wir glauben, dass die Liebe zum Besitz eine Schwäche ist, die man überwinden muss,
und dass jemand, der zu sehr an materiellen Werten hängt,
seine innere Harmonie gefährdet.»
(Nach Charles Eastman, The Soul of the Indian, 1911)
Diese Worte treffen eine Wunde – auch heute noch. Vielleicht mehr denn je.
Was ist aus diesem Gedanken geworden? Wir bauen Tiny Houses mit Solarpanels, tragen Funktionskleidung aus Recyclingmaterial, führen unsere Gespräche auf Instagram.
Doch die alte Frage bleibt: Wie frei ist ein Mensch, der sich selbst über sein Eigentum definiert?
Ich glaube, dass es solche Sätze braucht wie den von Ohiyesa. Klar, leise, nicht ideologisch. Als Orientierung in einer Welt, in der Besitz nicht mehr als Statussymbol, sondern oft als Schutzschild dient.
Vielleicht ist Ethify yourself kein revolutionäres Buch. Aber es bringt etwas in Erinnerung, das zu schnell vergessen ging. Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen ethischem Handeln und innerer Harmonie.
Und dass wir diesen Faden wieder aufnehmen können.
Nicht laut. Nicht missionarisch.
Sondern im Alltag.
Dort, wo es zählt.
* Ohiyesa (bürgerlich: Charles Alexander Eastman, 1858–1939) war ein Dakota-Indianer (Santee Sioux), Mediziner, Schriftsteller und Redner. Als einer der ersten indigenen Ärzte, die in westlicher Schulmedizin ausgebildet wurden, verband er sein medizinisches Wissen mit der spirituellen Weisheit seiner Vorfahren. In seinen zahlreichen Büchern (u. a. The Soul of the Indian, Indian Boyhood) trat er für ein tieferes Verständnis indigener Weltanschauung ein – insbesondere im Hinblick auf Naturverbundenheit, Gemeinschaft und die Gefahren eines materialistisch geprägten Lebens. Sein Denken beeinflusste spätere Generationen der Umweltbewegung, Spiritualitätssuchende und ethische Denker.
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