In den Schweizer Alpen lebt eine Tradition fort, die noch tief in der Kultur und den täglichen Praktiken der dortigen Bergbauern verwurzelt ist – der Betruf oder Alpsegen.

Diese faszinierende Praxis, die aus der Zeit stammt, als die Alpen noch weitgehend isoliert und schwer zugänglich waren, bietet nicht nur Einblicke in die historische Viehwirtschaft, sondern zeugt auch von einem tiefen spirituellen Empfinden der Menschen, die in diesen rauen Landschaften lebten und arbeiteten.

Ursprünge und Bedeutung

Der Betruf gehört, ähnlich wie der Kuhreihen, zu den ehemaligen Kultgesängen der Hirten und Viehtreiber. Es handelt sich dabei um einen textbezogenen Sprechgesang, der weder melodisch noch liedhaft ist, sondern eher einer Gebetsrezitation ähnelt. In diesen Gesängen werden die Heilige Maria und verschiedene Schutzheilige angerufen, um das Vieh vor Naturgewalten wie Blitzschlag zu schützen und um Fürsorge für die Güter auf der Alp sowie die Alpbewohner im Todesfall zu erbitten.

Praktische Anwendung und kulturelle Bedeutung

Traditionell wird der Betruf in den Sommermonaten nach dem Melken der Kühe praktiziert. In den katholischen Berggebieten der Schweiz, insbesondere in den Kantonen Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, im Oberwallis und in St. Gallen, hallt dieser Ruf über die Alpen. Der Älpler nutzt dabei einen hölzernen Milchtrichter als eine Art Megaphon, um seine Bitten über die Weiten der Alpen zu verstärken. Diese Bitten umfassen den Schutz des Viehs vor Raubtieren und die Bewahrung aller Besitztümer der Alp.

Historische Kontroversen und christliche Umdeutung

Interessant ist die historische Entwicklung des Betrufs. Bereits im Jahr 1600, als dieser Brauch als «heidnischer Viehsegen» angesehen wurde, verboten die Autoritäten seine Ausübung. Doch die Anpassungsfähigkeit und die tiefe Verwurzelung im Glauben und in der Tradition der Alpenbewohner liessen den Betruf weiterleben. Ein Jesuitenpater namens Johann Baptist Dillier (1668–1745) spielte eine entscheidende Rolle bei der christlichen Umdeutung des Betrufs.

Er funktionierte die ursprüngliche Vokativform «Loba» (für die Anrufung der Kuh) in das «Gott ze lobe» um. So wandelte er den ursprünglichen Ruf in einen christlich konnotierten Text um, der Gott lobt und die Heilige Maria in den Mittelpunkt stellt.

Der Betruf ist ein Beispiel dafür, wie Tradition und Religion die täglichen Praktiken und das kulturelle Erbe einer Gemeinschaft formen können. Auch heute noch wird der Betruf als ein Zeichen des Respekts und der Ehrfurcht vor der Natur und ihren Geheimnissen praktiziert. Er erinnert uns an die Bedeutung des kulturellen Erbes und dessen Bewahrung für zukünftige Generationen.

Dieses einzigartige Kulturerbe bietet nicht nur Einblick in die Vergangenheit, sondern unterstreicht auch die Notwendigkeit, traditionelle Praktiken und ihren Kontext zu verstehen und zu schätzen. Der Betruf dient als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart und illustriert eindrucksvoll, wie tief die Verbindung zwischen Mensch, Tier und Natur in den Alpen verwurzelt ist.

Alter Gebetsruf

Ho-ho-ho-oe-ho-ho-oe-ho-ho.
Ho-Lobe-ho-Lobe, nemmet all tritt in Gottes namen Lobe:
ho-Lobe nemmet all tritt in unser Lieben Frauen namen Lobe:
Jesus! Jesus! Jesus Christus,
Ave Maria, Ave Maria, Ave Maria.
Ach Lieber Herr Jesus Christ,
behut Gott allen Leib, Seel, Ehr, und Gut,
was in die Alp gehoeren thut.
Es walt Gott und unsere herz liebe Frauw;
Es walt Gott, und der heilig Sant Wendel;
Es walt Gott, und der heilig Sant Antonj;
Es walt Gott, und der heilig Sant Loy.
Ho-Lobe nemmet all Tritt in Gottes Namen Lobe

 

 

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