Vater hat mir einst die Weihnachtsgeschichte, wie er sie von seinem Grossvater erzählt bekommen hat, in der heute etwas seltsam anmutenden Sprache weitergegeben. In meiner Erinnerung hörte sie sich so an:
Mein Lieber, komm‘ heute mit mir nach Bethlehem in den Stall, wo vor bald 2000 Jahren der Heiland geboren wurde. Es ist Weihnachten heute, ein Geburtstag, den die ganze Welt feiern sollte, denn der Fürst aller Fürsten, der König aller Herrscher, der Erbherr aller Völker wurde an diesem Tage geboren. Alle Welt sollte ihm huldigen; alles, was Odem hat, ihn loben und ihm dienen.
Es hat mir immer besonders gefallen, dass auch die Tiere zum Christkind kamen, und dass Kühlein, Kälblein, Schäflein und Hündlein am Geburtstag da waren. Der himmlische Vater des Christkinds hat’s gewiss so haben wollen und hat es deshalb in einem Stall zur Welt kommen lassen. Vielleicht auch noch aus anderen Gründen.
Er kam im Stall zur Welt, weil er arm war, weil es dort warm war und es keine Unruhe gab und keinen Alarm! Wer weiss, ob Maria und ihr Kindlein zur kalten Jahreszeit und bei Nacht sonstwo ein warmes Gemach gefunden hätten? Wer weiss, wie laut es in den Häusern sonst überall zuging, wo so viele Leute zusammengeströmt waren, dass alle Herbergen keinen Platz mehr übrig hatten. Wie hätte Maria sich genieren müssen! Wie viele hätten sie geschimpft und verlacht! Aber im Stall waren sie sicher und warm! Ja, warm! Wart ihr schon zur Winterszeit in einem Stall? Es duftet nach Heu und Mist; aber wie linde Frühlingswärme weht es uns entgegen, so heimelig und traut.
Ich habe in meiner Jugend melken gelernt, und es war im Winter. Früh um vier Uhr musste ich im Stall sein. Wie ein Eiszapfen fror ich, wenn ich in meiner Dachkammer aus dem warmen Bett schlüpfte: aber wie Eis in der Sonne zerrinnt, so zerrann meine Kälte hernach im warmen Stall, und meine steifen Finger wurden wieder biegsam wie junge Weidenruten. Und die «März», eine alte, liebe Kuh, hauchte mir ihren heissen Kuhatem ins blau gefrorene Gesicht, dass meine zarte Nase auftaute, oder die «Blüemli» schlug mir ihren Schwanz um die Ohren, während ich unter ihr sass, und machte sie mir warm und rot!
So mag’s beim Christkindlein auch gewesen sein, als es so nackend in der Krippe dalag. Und während sein Mütterlein die Windeln zurechtlegte, streckten die Kühlein ihre Schnäuzlein in das sonderbare Bett, und als sie merkten, dass kein Futter da sei, sondern ein frierendes Knäblein, haben sie’s warm angehaucht mit ihrem Odem. Auch da war’s wahr: alles, was Odem hat, lobe den Herrn. Und der Schäferhund kam und leckte ihm die frierenden «Patscherli» und Füsslein. Die Zieglein meckerten, und die Schafe mähten, damit es nicht schreien soll, sondern durch ihre schöne Musik sich beruhige und einschlafe.
Das steht zwar nicht ganz genau so in der Bibel, aber es war gewiss so geschehen. Die Engel brachten dem Christkind ihre Lieder dar, die Weisen aus dem Morgenland Gold, Weihrauch und Myrrhen, die Hirten ihre Anbetung. Joseph väterlichen Schutz und Fürsorge, Maria ihre ganze Liebe und die Tierlein endlich ihren warmen Odem und ihre Stimmlein. Jedes trug seinen Teil bei, und jede Gabe war dem Christkind gleich lieb und wertvoll.
Mein Lieber, was gibst du dem Heiland? Weisst du, was er will? Dein Herz, das gib ihm, und deinen Eigenwillen, dann hast du’s gut. Tust du’s nicht, so bist du es nicht wert, neben Kuh und Ochs, neben Hund und Schaf einen Blick in Bethlehems Stall zu tun.
Diese Weihnachtsgeschichte hat mich damals tief beeindruckt, vor allem wegen der liebevollen Darstellung der Tiere. Die Vorstellung, dass Kühlein, Kälblein, Schäflein und Hündlein das neugeborene Christkind wärmten und beschützten, erfüllte mich mit einem besonderen Gefühl von Geborgenheit.
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