Warum der Februar nur 28 Tage hat

Es war in altvergangenen Zeiten, als auf Erden noch alles anders war, als es heute ist, und noch alle Tiere und sogar die Monate sprechen konnten.

Die zwölf Monate waren nämlich zwölf Brüder, jeder mit seiner eigenen Eigenart. Manche arbeiteten fleissig, andere waren verspielt und vertrödelten die Zeit – und wieder andere waren berüchtigt dafür, dass sie am liebsten Karten spielten. Besonders der Dezember, der Januar und der Februar waren echte Spieler. Nacht für Nacht sassen sie beisammen und spielten, bis der Morgen dämmerte.

Die anderen Brüder hatten mit dem Kartenspiel weniger am Hut – sie waren mit ihren eigenen Eigenheiten beschäftigt. Da war der September, ein richtiger Trunkenbold, der sich in den Weinbergen herumtrieb und den Winzern den noch süssen Wein stahl. Der Juli? Ein Faulenzer durch und durch, der sich auf duftenden Heuhaufen streckte und den ganzen Tag den Schwalben nachschaute. Der April wiederum war ein rechter Schalk. Er liebte es, den Leuten Streiche zu spielen, ihnen die Hüte vom Kopf zu pusten oder Hagelkörner aus heiterem Himmel prasseln zu lassen – besonders dann, wenn die Hausfrauen gerade ihre frische Wäsche in die Sonne gehängt hatten.

Auch der März, der Frühlingsbote mit dem Büschel Schneeglöckchen am Hut, mischte sich gelegentlich ein. Er brachte frischen Wind ins Spiel, lockte die ersten Sonnenstrahlen hervor und pustete den Leuten die Wintermäntel vom Leib. Doch beim Spielen schaute er lieber zu – bis er dann doch hin und wieder einen Kommentar einwarf

Der Mai? Der Mai war der Poet unter den Brüdern. Mit einem Kranz aus Blüten im Haar wanderte er durch die Wiesen, spielte Flöte und liess die Bäume mit frischem Grün erblühen. An Kartenspielen hatte er keine Freude – lieber brachte er die Welt zum Erblühen.

Der Oktober, der gemütliche Sammler, trieb sich lieber im bunten Laub herum, sammelte Kastanien und Pilze und plauderte mit den Eichhörnchen. Der November dagegen, der melancholische Bruder, war lieber allein unterwegs. Mit dickem Schal und einem Buch voller trauriger Gedichte spazierte er durch den nebligen Wald und sammelte Regenwolken. Für Kartenspiele hatte er keine Geduld.

Der Juni war der strahlende Sonnenschein unter den Brüdern. Immer gut gelaunt, tanzte er barfuss durch die blühenden Wiesen, organisierte Sonnenwendfeste und war viel zu beschäftigt, um sich um Kartenrunden zu kümmern. Und der August? Der trug goldene Ähren im Haar, schleppte prall gefüllte Obstkörbe durch die Felder und war abends so müde, dass er direkt in den Heuhaufen fiel und bis zum nächsten Sommer durchschlief.

So kam es, dass die Spieler unter den Brüdern – der Dezember, der Januar und der Februar – immer wieder bis spät in die Nacht am Tisch sassen. Das Spielglück wechselte stets zwischen ihnen: einmal gewann der eine, dann der andere. So ging es immer friedlich zu, bis eines besonders kalten Abends der Februar sein ganzes Glück auf einen Schlag verlor. Zuerst seine Münzen, dann seinen Mantel und schliesslich sogar sein Hemd. Doch der Februar war ein hartnäckiger Spieler. «Egal!», rief er mit einer theatralischen Geste, «das Spiel geht weiter!»

Der März, der gerade pfeifend hereinkam, grinste: «Bruder, du sitzt da wie ein nackter Frosch, hast keinen Pfennig mehr in der Tasche. Womit willst du weiterspielen?»

Doch der Februar liess sich nicht beirren. «Ich habe vielleicht kein Geld mehr», sagte er, «aber wir haben alle Tage, nicht wahr? Ich setze einen meiner Tage!»

So ging das Spiel weiter, und wie es kommen musste, verlor der Februar erneut. Der Januar und der Dezember gewannen beide, und als der Morgen anbrach, stand der Februar bleich auf und sagte mit niedergeschlagener Stimme: «Ich zahle meinen Einsatz.»

Und so kam es, dass der Dezember und der Januar von diesem Tag an 31 Tage hatten, während der arme Februar sich fortan mit nur 28 Tagen begnügen musste.
Doch der Februar war ein listiger Bursche. Jeden Tag kratzte er ein wenig von den Tagen seiner Brüder ab – hier eine Stunde, dort ein paar Minuten. Und so schaffte er es, alle vier Jahre genügend Zeit zu sammeln, um sich einen zusätzlichen Tag zu gönnen – und das ist der Grund, warum wir alle vier Jahre ein Schaltjahr haben, in dem der Februar ausnahmsweise 29 Tage zählt.

Und wer genau hinschaut, merkt vielleicht: Auch die Monate haben ihre Eigenheiten. Manchmal kann man sie in den Tropfen hören, die an die Fensterscheibe klopfen, in einem Sonnenstrahl, der aufblitzt, oder in einer Bö, die den Hut vom Kopf weht. Dann weiss man: Die Brüder der Zeit sind noch immer unter uns.

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Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

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