Es gibt Fragen, die stellt man sich nicht im Trubel des Alltags.
Nicht zwischen Tür und Angel, nicht beim Einkaufen, nicht im Gespräch mit Fremden.
Sie kommen leise, oft nachts. Oder an einem dieser Tage, an denen man plötzlich innehält – ohne Grund.
Eine solche Frage ist:
Werde ich unglücklich oder erfüllt sterben?
Sie ist schlicht – und unerbittlich.
Denn sie durchschneidet all die kleinen Geschichten, mit denen wir uns sonst über Wasser halten. Sie fragt nicht, wie viel wir erreicht, verdient, angesammelt oder geschafft haben.
Sie fragt:
War es wahr?
War es deins?
Hat es dich wirklich lebendig gemacht?
Die meisten Menschen verdrängen diese Frage so lange wie möglich.
Sie sprechen lieber über Ferienpläne, über Ärger im Büro oder die letzte Rechnung. Auch das hat seinen Platz. Aber irgendwo darunter liegt diese eine, tiefe Ahnung:
Am Ende zählt etwas anderes.
Nicht der Lebenslauf. Nicht der Applaus. Nicht die Likes.
Sondern: Ob du dich selbst bewohnt hast.
Ob du je wirklich dagewesen bist – in deinem eigenen Leben.
Erfüllt zu sterben heisst nicht, dass alles schön war.
Es heisst nicht, dass nichts wehgetan hat oder dass alles nach Plan lief.
Es heisst vielmehr:
Du hast das gelebt, was in dir war.
Du bist nicht ausgewichen, nicht ständig davongelaufen.
Du hast geliebt, wo du lieben konntest.
Du hast geweint, wenn es Zeit war zu weinen.
Du hast gewagt, dich zu zeigen – auch mit deinen Rissen.
Du hast Fehler gemacht, ja. Aber du warst da.
Unglücklich stirbt, wer sich selbst verpasst hat.
Wer das Eigene immer auf später verschoben hat.
Wer zu sehr gefallen wollte – und sich selbst dabei verlor.
Wer den Ruf des Inneren zu oft überhört hat.
Nicht, weil er böse war. Sondern aus Angst.
Oder weil ihm nie jemand gezeigt hat, wie man sich selbst treu bleibt –
leise, aufrecht, ohne Lautstärke, ohne Heiligenschein, ohne Drama.
Weil niemand sagte: Dein inneres Mass zählt. Dein eigenes Ja. Dein eigenes Nein.
Und so ging viel Zeit verloren – mit Anpassung. Mit Abwarten. Mit sich Verstellen.
«Werde ich unglücklich oder erfüllt sterben?»
Diese Frage ist keine Anklage. Kein Urteil.
Sie kommt nicht, um dich zu quälen –
sie kommt, um dich zu wecken.
Sie ist kein Ende, sondern ein Anfang.
Ein innerer Kompass, der fragt:
Was will wirklich durch mich gelebt werden?
Und:
Worauf will ich am Ende meines Lebens mit stillem Stolz zurückschauen – auch wenn es niemand sieht?
Die gute Nachricht: Solange du noch lebst, ist es nicht zu spät.
Nicht zu spät, um neu zu fragen:
Was ist wesentlich für mich?
Wovon will ich weniger – wovon mehr?
Was in mir ist echt – und was nur Gewohnheit, Angst oder Pflichtgefühl?
Diese Fragen sind keine Theorie.
Sie sind Handlung. Entscheidung. Rückkehr.
Vielleicht ist das Leben nichts anderes als die tägliche Annäherung an eine Antwort.
Und vielleicht ist die grösste Freiheit nicht, wie man lebt – sondern wie man geht.
Mit Bedauern.
Oder mit einem stillen Lächeln.
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