Die vergessene Sprache der Verbundenheit

Was, wenn Pflanzen wirklich mit uns sprechen könnten? Was, wenn die Welt voller Antworten ist – wir aber die Sprache vergessen haben, in der sie zu uns spricht?

Es gibt eine Sprache, die keine Worte braucht.
Eine Sprache, die älter ist als jedes Alphabet, feiner als jede Grammatik – und tiefer als jeder Gedanke.

Es ist die Sprache des Fühlens.

Und sie ist uns verlorengegangen.

Früher war sie selbstverständlich.
Man wusste nicht viel – aber man spürte viel. Man erkannte nicht durch Analyse, sondern durch Nähe. Man ging barfuss durch das Leben, hörte den Wind, achtete auf Zeichen, auf Stimmungen, auf das Zittern eines Blattes.

Man sprach nicht über die Welt – man war in Beziehung mit ihr.

Heute wissen wir mehr – und fühlen weniger.

Wenn man die alten Geschichten hört, klingt vieles unglaublich.

Da ist zum Beispiel die Erzählung vom Heiler Lukman[1], der sich zu den Pflanzen setzte, still wurde – und sie fragte: «Wofür bist du da? Wobei kannst du helfen?»
Und die Pflanzen antworteten. Nicht in Sätzen, aber deutlich.

Was wie ein Mythos klingt, wurde später durch wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt: Die Heilwirkungen, die er angeblich «erfühlte», sind real. Doch das Wie bleibt ein Rätsel – zumindest für den Verstand.

Vielleicht aber nicht für das Herz.

Auch in Indien, in der Ayurveda-Tradition, kennt man diese Form des Wissens. Die Pflanzen geben ihre Geheimnisse preis – wenn man sie auf ihre Weise fragt.

Dazu braucht es keine Bücher. Keine Instrumente.
Sondern Stille. Präsenz.
Und eine Sprache, die heute fast ausgestorben ist: die Sprache der Verbundenheit.

Diese Sprache entsteht nicht im Kopf. Sie entspringt dem Herzen.
Nicht im romantischen Sinne – sondern im wachen, fühlenden Sinn.

Wenn wir in den Wald gehen und nicht nur spazieren, sondern wirklich anwesend sind, beginnt etwas in uns zu horchen. Dann wird die Luft anders. Die Geräusche klarer. Die Grenze zwischen innen und aussen dünner.

Wir spüren: Die Welt lebt. Und sie spricht.

Aber nicht in Worten. Nicht in Definitionen.
Sondern in Impulsen. In leisen Antworten. In einem Wissen, das man nicht denken, sondern nur zulassen kann.

Das ist nicht esoterisch, nicht abgehoben. Es ist eigentlich ganz einfach.

Wir haben nur verlernt, zuzuhören.

In einer Welt, in der Daten zählen und Gefühle stören, hat das Fühlen keinen Platz mehr. Aber vielleicht ist genau das der Grund, warum uns so vieles fremd geworden ist – die Pflanzen, die Tiere, sogar die Menschen um uns.

Wir kennen ihre Namen. Aber nicht mehr ihr Wesen.

Vielleicht ist es Zeit, diese Sprache wiederzufinden.
Sie braucht keine App, keine Ausbildung, kein Spezialwissen.

Nur: ein offenes Herz. Eine stille Minute. Und die Bereitschaft, sich berühren zu lassen.

Denn die Welt ist bereit, ihr Herz zu zeigen –
wenn wir unser eigenes nicht mehr verschliessen.

 

[1] Die Darstellung von Luqmān als Heiler, der in stiller Zwiesprache mit den Pflanzen tritt, stammt nicht direkt aus dem Koran, sondern entstammt der islamischen Volksüberlieferung und mystischen Tradition. Während Luqmān in Sure 31 des Koran als weiser Mann erscheint, entwickelten sich in späteren Jahrhunderten vor allem im Sufismus und in der afrikanischen Erzähltradition Geschichten, in denen er als Wissender über die heilenden Kräfte der Natur gilt. Seine Kommunikation mit Pflanzen steht sinnbildlich für eine tiefe intuitive Verbindung zur Schöpfung, wie sie in vielen spirituellen Heiltraditionen bekannt ist.

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Über

Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

FOLGEN

NEWSLETTER

BodeständiX
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.