Die stille Präsenz im innersten Kern

 

In vielen Religionen wird Gott als Schöpferperson dargestellt.
Eine Autorität im Himmel. Getrennt vom Menschen. Ein Gegenüber.
Doch spirituelle Erfahrung kann eine andere Sprache sprechen.
Was, wenn Gott nicht jemand wäre, sondern etwas? Keine Figur, sondern eine Präsenz?
Keine Vorstellung, sondern ein inneres Erleben?

«Gott» – ein Wort, das vieles weckt. Sehnsucht. Aber auch Bilder.
Ein Richter. Ein Schöpfer. Ein Vater im Himmel.
Einer, der «oben» ist, während wir «unten» sind. Einer, den man bitten, verehrend suchen, oder fürchten soll.

Doch vielleicht sind das nur Geschichten, die wir gelernt haben, um mit dem Unerklärlichen umzugehen.

Was bleibt, wenn man alles beiseitelässt? Alle Bilder. Alle Namen. Alle Gebete?
Vielleicht nichts, was man benennen könnte.
Vielleicht etwas, das gespürt wird statt gedacht.
Etwas, das nicht jemand ist, sondern reines Dasein.
Eine stille Präsenz.
Nicht draussen. Nicht irgendwo. Nicht als Gegenüber.
Sondern innen.
Im tiefsten Raum des eigenen Seins.

Was wir gemeinhin «Gott» nennen, könnte eine Qualität sein.
Keine Person. Keine Instanz.
Eine Schwingung. Ein Zustand. Ein leuchtender Hintergrund.
Nicht etwas, das uns gegenübertritt. Sondern etwas, das uns durchdringt.

Manchmal zeigt sich diese Qualität unverhofft.
In einem Moment vollkommener Stille. In der Gegenwart eines geliebten Menschen. Beim Schauen eines Baumes.
In der Tiefe der Meditation, wenn der Verstand schweigt und das Herz nichts mehr will.
Dann wird etwas spürbar, das mehr ist als Liebe, mehr als Freude, mehr als Friede – und doch nicht getrennt von ihnen.
Eine Weite, die sich Worten entzieht. Eine Gegenwärtigkeit, die nichts braucht, um zu sein.

Vielleicht ist es das, was man mit «Gott» meint.
Nicht ein Wesen, das irgendwo wartet.
Sondern eine Tiefe, die uns immer schon begleitet hat.

Man kann Gott nicht treffen wie einen alten Freund.
Man sagt ihm nicht «Guten Tag» oder fragt, wo er all die Jahre gesteckt hat.
Denn vielleicht ist «Gott» nicht die Begegnung mit einem Anderen, sondern das Erwachen zur eigenen wahren Natur.
Diese stille Präsenz ist nicht morgen da. Nicht erst nach dem Tod. Nicht am Ende eines langen Weges.

Sie ist jetzt.

Unter dem Lärm des Denkens. Unter den Masken der Persönlichkeit.
Wer ihr begegnet, beginnt sich selbst zu begegnen.
Nicht dem Bild, das man von sich hat.
Sondern dem, was immer schon war:
Gegenwärtig. Lebendig. Still.

 

2 Kommentare

  1. C Stern

    Deine Worte machen mich sprachlos.

    Herzensdank für Deine Geistesweite …

  2. Hanspeter Gautschin

    Tatsächlich stammen diese Zeilen aus einer Sammlung von Essays, die ich bereits vor einiger Zeit geschrieben habe – lange bevor ich den Mut fand, sie mit anderen zu teilen. Es sind keine theoretischen Überlegungen oder intellektuellen Gedankenspiele, sondern vielmehr verdichtete Erfahrungen, die mir im Lauf des Lebens geschenkt wurden. Vielleicht kann man sagen: Sie sind nicht erfunden, sondern erlebt.

    Ich habe damals gespürt, dass es etwas gibt, das tiefer reicht als Worte – und doch wollten Worte daraus hervorgehen. Worte, die nicht erklären, sondern andeuten. Nicht belehren, sondern erinnern. An das, was wir alle auf unsere Weise in uns tragen.

    Umso schöner ist es, wenn jemand wie Du sich darin wiederfindet. Danke für Deine Offenheit und Deine Wertschätzung.

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Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

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