In einer Welt, die vom Denken getrieben ist, scheinen Stille und Gegenwärtigkeit selten geworden zu sein. Der Kopf arbeitet ununterbrochen, als gäbe es keine Alternative – und oft halten wir das, was wir dabei über uns denken, für die Wahrheit.
Doch was, wenn der Verstand nur ein Spiegel ist – ein Werkzeug, nicht das Wesen? Was, wenn wir etwas viel Tieferes in uns tragen, das still, lebendig und jenseits aller Gedanken liegt?
In diesem Essay geht es um die Kunst, den Verstand zur Seite zu stellen – nicht als Feind, sondern als Diener. Und um die Erfahrung, dass das, was wir wirklich sind, nicht gedacht, sondern erfahren wird. Eine Einladung zur inneren Umkehr – leise, aber grundlegend.
Der Verstand ist ein Spiegel. Er reflektiert, was ihm begegnet – Bilder, Gedanken, Erinnerungen, Worte. Und wie ein Spiegel hat er kein Eigenleben. Er zeigt nur, was vor ihm steht.
Doch viele von uns halten den Spiegel für das Eigentliche. Sie schauen hinein und glauben: Das bin ich. Sie verwechseln sich mit dem Abbild. Dabei ist der Verstand nicht das Selbst – er ist ein Instrument. Präzise, schnell, nützlich. Aber eben ein Werkzeug, kein Wesen.
Der Verstand kann rechnen, planen, erklären. Doch er kann nicht fühlen. Er kann beschreiben, aber nicht begreifen. Er kennt Konzepte, aber nicht das Leben selbst. Alles, was wir über uns zu wissen glauben – unsere Rollen, unsere Geschichten, unsere Meinungen –, stammt aus diesem Spiegelkabinett des Denkens.
Was wir hingegen sind, entzieht sich dem Verstand. Es ist kein Gedanke, keine Vorstellung, kein Bild. Es ist still, gegenwärtig, wach. Es ist das Bewusstsein selbst – lebendig, atmend, gegenstandslos. Dieser innere Raum, der alles sieht, ohne etwas zu wollen. Manche nennen ihn Seele. Andere Geist im tieferen Sinn – spiritus, nicht ratio.
Um diesen Raum zu berühren, muss der Verstand zur Seite treten. Er muss nicht bekämpft werden, nur losgelassen. So wie man ein Werkzeug aus der Hand legt, wenn man es nicht mehr braucht.
Am Anfang sind es nur kleine Momente. Sekunden vielleicht, in denen das Denken innehält. In denen keine Worte kreisen. Kein Urteil, kein Gedanke. Nur Präsenz. Nur Sein.
Und gerade diese unscheinbaren Augenblicke haben eine seltsame Kraft. Sie verändern alles. Denn in ihnen schmecken wir – vielleicht zum ersten Mal – die Wirklichkeit jenseits der Gedanken.
Vergleichen kann man erst dann. Vorher bewegt man sich im Kreis. Man denkt über sich nach, mit demselben Instrument, das einem die Illusion erzeugt. Der Verstand spricht über den Verstand – wie ein Papagei, der sich selbst zitiert.
Doch mit dem ersten Geschmack der Stille wird klar: Es gibt ein anderes Erkennen. Eines, das nicht aus dem Kopf kommt. Es ist einfach da – wie ein See ohne Wellen, wie ein Licht ohne Schatten.
Der Verstand, der so lange das Steuer führte, darf nun abtreten. Nicht als Feind, sondern als Helfer. Als Diener, der zurück in seine Rolle findet. Wenn wir etwas planen oder verstehen wollen, ist er da. Aber er muss nicht immerzu tätig sein. Auch der Verstand darf Pause machen.
Wer mit Achtsamkeit übt, wird merken: Die innere Ordnung kehrt zurück. Das Selbst erwacht – nicht laut, nicht stolz, sondern still. Und der Verstand beginnt zu gehorchen.
Denn der eigentliche Geist, das, was wir sind, braucht keine Worte, keine Konzepte. Er ist einfach. Und in diesem einfachen Sein liegt eine Freiheit, die keine Idee fassen kann.
Ein Zuhause, das nicht gesucht werden muss – weil es nie fort war.
Einfach einzigartig, wie Du eintauchst und das pure Sein, diesen stillen Raum mit feinen Worten zeichnest.
Dazu noch das passende Bild, ich genieße Dein Essay.
Herzliche Grüße aus Österreich! C Stern
Hab ganz herzlichen Dank für Deinen schönen Kommentar. Es berührt mich, dass Du so fein mitschwingst – zwischen den Zeilen, mit dem stillen Raum, von dem ich schreibe.
Wenn Worte das Unsagbare nur andeuten und trotzdem etwas davon spürbar wird, dann ist das wohl das Beste, was ein Text erreichen kann.
Wie schön, dass dieser stille Faden bis nach Österreich reicht.
Alles Liebe
Hanspeter
Wenn der Spiegel ohne einen schwarzen Rücken präsent ist, ist der Spiegel nur ein gläserne Wand mit den kleinsten Öfffnungen. Durch diese Öffnungen bewegen sich die kleinste Seelenelementer der Unendlichkeit. Sie haben eine quadrantische Masse, sind nicht sichtbar, jedoch fühlbar mit dem 7ten Fühlorgan. Diese benenne ich auch singunlare Lineare universelle Seele.
Vielen Dank für deinen Kommentar – er liest sich wie eine poetische Erweiterung der Spiegel-Metapher, die ich im Essay verwende. Besonders der Gedanke, dass der „Spiegel ohne Rückwand“ durchsichtig wird und damit durchlässig für etwas Tieferes, finde ich spannend.
Deine „kleinsten Seelenelemente der Unendlichkeit“, fühlbar mit dem „7ten Fühlorgan“, scheinen auf genau jene stille Präsenz hinzuweisen, von der ich spreche – etwas, das nicht gedacht, sondern erfahren wird. Auch wenn deine Sprache deutlich symbolischer ist als meine, erkenne ich darin eine Resonanz: das Bewusstsein jenseits des Denkens, das vielleicht durch die Lücken im Spiegel hindurchscheint.
Ich danke dir für diese kreative Perspektive – vielleicht sprechen wir beide in unterschiedlichen Dialekten über dieselbe Stille.