Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) ist weit mehr als nur ein farbenfroher Pilz im Wald. Er ist ein Symbol tief verwurzelter Mythen, ein Gegenstand der Verehrung und ein schamanisches Hilfsmittel, das über Jahrhunderte hinweg zahlreiche Kulturen beeinflusst hat.

In diesem Blogbeitrag möchte ich dir die faszinierende Welt des Fliegenpilzes näherbringen.

Allgemeines über den Fliegenpilz

Allgemein bekannt ist der Fliegenpilz für seine charakteristische Erscheinung: der leuchtend rote Hut mit weissen Punkten ist ein Bild, das viele Menschen mit der Natur und Märchen verbinden. Doch dieser Pilz hat einen weniger romantischen Ruf, da er als hochgiftig gilt. Die Toxizität des Fliegenpilzes wird hauptsächlich durch die enthaltenen Substanzen Ibotensäure und Muscimol verursacht. Der Verzehr kann zu schweren Vergiftungserscheinungen führen, die von Übelkeit und Erbrechen über Halluzinationen bis hin zu Delirium reichen können. Trotz dieser Gefahren wurde der Fliegenpilz in verschiedenen Kulturen und Ritualen verwendet, was seine mystische Aura nur noch verstärkt.

Die Bezeichnung «Krötenstuhl»

In vielen germanischen Sprachen und Dialekten werden Pilze, die Stengel und Hüte ausbilden, als «Krötenstühle» bezeichnet. Beispiele dafür sind:

  • Paddestoel im Niederländischen
  • Poggenstól im Ostfriesischen
  • Krottenstul in Westfalen
  • Chrottestuel im Schweizerdeutschen
  • Toadstool im Englischen

Besonders der Fliegenpilz wird als «Krötenstuhl» betrachtet. Dieser psychoaktive Pilz wurde in vielen Kulturen als Sitz der heiligen, göttlichen Kröte verehrt. Die Frage, ob der Fliegenpilz das schamanische Zaubermittel der alten Krötengöttin oder die Speise der Kobolde war, bleibt spannend. In der deutschen Mythologie erscheinen Kobolde oft in der Gestalt von Kröten, was die Verbindung zwischen dem Fliegenpilz und dem Zugang zur Welt der Kobolde nahelegt.

Schamanismus und der Fliegenpilz

Der Fliegenpilz gilt als die nordische Schamanendroge par excellence. Historische Aufzeichnungen belegen seinen rituellen Gebrauch bei Schamanen der Lappen (Samen), Sibirier (Samojeden, Ostjaken, Tungusen, Jakuten) und nordamerikanischen Indianern. Der altnordische Schamanismus, eng verbunden mit Wotan, zeigt Parallelen zum Schamanentum der Lappen und altfinnischer Völker. In vielen Mythologien sind Sturm- und Gewittergottheiten mit dem Fliegenpilz assoziiert, da die Wirkung des Pilzes oft als inneres Stürmen und Blitzen beschrieben wird.

Thor und der Fliegenpilz

In der germanischen Mythologie fährt der Donner- und Fruchtbarkeitsgott Thor mit seinem Wagen durch die Lüfte, erzeugt mit seinem Hammer Blitz und Donner und lässt dadurch Fliegenpilze auf der Erde entstehen. Ein Brauch aus der Steiermark verdeutlicht diesen Zusammenhang: Zu Beginn der Schwammzeit, nach dem ersten Donner, sucht man einen Fliegenpilz und spricht einen Zauberspruch, um sich gute Schwämme zu sichern.

Der Fliegenpilz als «Rabenbrot»

Im Volksmund wird der Fliegenpilz auch «Rabenbrot» genannt. Raben sind nicht nur uralte Schamanen- und Krafttiere, sondern auch die Botschafter des Gottes Odin/Wotan. Laut der Prosa-Edda sitzen zwei Raben, Hugin und Munin, auf Odins Schultern und fliegen jeden Morgen über die Welt, um ihm alles zu berichten, was sie sehen oder hören. Der Fliegenpilz, als «Rabenbrot», könnte somit als Nahrung für Denken und Gedächtnis gesehen werden.

Psychische Wirkungen des Fliegenpilzes

Die psychischen Wirkungen des Fliegenpilzes sind seit langem bekannt. In ekstatischen Ritualen verhalf er den Schamanen zu Visionen und Kommunikationsmöglichkeiten mit Geistern. Louis Lewin beschreibt 1924, dass der Konsument des Fliegenpilzes sich innerlich glücklich und zufrieden fühlt, mit nicht anwesenden Personen spricht und reiche Visionen erlebt.

Louis Lewin (1850-1929) war ein deutscher Pharmakologe und Toxikologe, der als einer der Pioniere der modernen Psychopharmakologie gilt. Er veröffentlichte zahlreiche Arbeiten über die Wirkung von psychoaktiven Substanzen und war besonders bekannt für seine Forschungen zu Rauschmitteln und deren ethnopharmakologischen Anwendungen. Sein Buch «Phantastica» (1924) ist ein bedeutendes Werk, das die Auswirkungen von halluzinogenen Pflanzen und Pilzen auf die menschliche Psyche beschreibt.

Volksmythen über den Ursprung des Fliegenpilzes

Eine südgermanische Geschichte erklärt den Ursprung des Fliegenpilzes folgendermassen: Der Gott Wotan ritt eines Abends auf seinem Pferd, als er plötzlich von Teufeln verfolgt wurde. Das Pferd fing an zu galoppieren, und dabei tropfte rotgesprenkelter Schaum von seinem Maul. Wo der Schaum hinfiel, erschienen im folgenden Jahr die bekannten weissgefleckten, roten Hüte des Fliegenpilzes. Andere Mythen sprechen von einer Mischung aus Blut und Geifer, die die Fliegenpilze entstehen lässt.

Der Fliegenpilz ist ein faszinierendes Naturphänomen, das tief in den Mythen und Ritualen verschiedener Kulturen verwurzelt ist. Als schamanisches Reisemittel, Glückssymbol und sogar als Nahrungs- und Heilmittel bietet er einen einzigartigen Einblick in die Verbindung zwischen Mensch und Natur. Seine vielseitigen Anwendungen und die reiche Symbolik machen den Fliegenpilz zu einem wahren Schatz der Mythologie.

 

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