Wie ich Tina Turner ablehnte – und sie die Welt eroberte
Eine fröhliche Künstlerin auf der Bühne begeistert eine jubelnde Menge, während im Vordergrund ein Schild mit der Aufschrift Tina Turner - Basel Show neben der Tontechnik zu sehen ist. Helle Bühnenlichter erhellen diese lebhafte, von Tina Turner inspirierte Szene.

Herbst 1983. Ich war jung, voller Tatendrang, mit einem festen Glauben an mein Gespür für Musik, Stars und Bühnenpotenzial.

Als Veranstalter lebte ich in einem Rhythmus zwischen Terminkalender, Vertragsverhandlungen, Hallenmieten und Künstlern, die entweder gerade im Aufstieg oder bereits auf dem absteigenden Ast waren – und glaubte, genau unterscheiden zu können, wer wohin gehörte.

An einem gewöhnlichen Dienstag – es war wohl ein Tag wie jeder andere – spuckte das Telexgerät im Büro ein neues Angebot aus. Ein Telex war damals das, was man heute als Vorform der E-Mail bezeichnen würde: kurz, knapp, auf dünnem Papier, direkt aus der Booking-Agentur. Der Name, der da zwischen technischen Details, Gagenforderungen und Verfügbarkeiten stand, liess mich aufhorchen – und dann sofort wieder abwinken:

Tina Turner.
Ein Auftritt in der Festhalle der Mustermesse Basel war vorgesehen.

Mein erster Gedanke?

«Tina Turner? Die mit den langen Beinen, dem Löwenhaarschnitt und der wilden Vergangenheit mit Ike?»
Mein zweiter?
«Die ist durch. Die bringt’s nicht mehr.»
Und mein dritter – leider auch der letzte:
«Diese alte Schachtel reisst hier keinen mehr vom Hocker.»

Ich war überzeugt davon, die richtige Entscheidung zu treffen. Jung, siegessicher und – wie sich später herausstellen sollte – ziemlich kurzsichtig.

Man muss den Kontext verstehen. Anfang der 1980er-Jahre galt Tina Turner in weiten Teilen der Musikbranche als Vergangenheit. Ihre Ehe mit Ike lag hinter ihr, ihre letzten Alben hatten kaum noch Resonanz erzeugt, und sie tourte durch kleinere Clubs – oft als Vorband oder in Doppelprogrammen mit Soul-Oldies.

In den Medien war es still um sie geworden. Die grossen Bühnen gehörten inzwischen anderen: Madonna, Michael Jackson, Prince, und auf MTV liefen junge Gesichter im Dauerschleifenbetrieb. Tina Turner passte da einfach nicht mehr rein. So dachte ich – und mit mir viele andere in der Branche.

Ich war also nicht der Einzige, der sie falsch einschätzte. Aber es war mein Fehler. Und er sollte mich lange begleiten.

Tina Turner war für viele ein Relikt. Eine Erinnerung an vergangene Zeiten. So dachte ich. So dachten viele.

Was ich nicht wusste: Während ich glaubte, sie sei am Ende ihrer Laufbahn angelangt, arbeitete sie in London und Los Angeles an dem Album, das ihre Rückkehr einleiten sollte: «Private Dancer».

Ein paar Wochen später sass ich zuhause und hörte zufällig DRS 3. Plötzlich klang da eine Stimme aus dem Radio, die mich aufhorchen liess:
markant, energiegeladen, lebendig.
Der Song: «What’s Love Got To Do With It».

Ich traute meinen Ohren kaum. Das war… Tina Turner.

Nicht alt, nicht abgehalftert, nicht vorgestrig. Sondern neu. Stark. Zeitlos. Wenig später erfuhr ich, dass ihr neues Album «Private Dancer» kurz vor der Veröffentlichung stand – und dass die Fachwelt plötzlich von einem der spektakulärsten Comebacks sprach, das die Popgeschichte je gesehen hatte.

Tina Turner wurde damals schliesslich von der Konzertagentur Good News für ein Schweizer Konzert gebucht – und trat im Zürcher Kongresshaus auf.

Und dann geschah, was ich nie für möglich gehalten hätte: Sie spielte in der Folge praktisch nur noch in Fussballstadien. Tina Turner war wieder da. Und wie!

Im Rückblick war meine Absage einer der grössten Fehlgriffe meiner Laufbahn als Veranstalter. Ich habe mich geirrt. Kompletto.
Aber ich trage das nicht mit Bitterkeit, sondern mit einem gewissen Stolz:
Denn nur, wer Entscheidungen trifft, kann auch danebenliegen.
Und nur, wer sich irrt, kann dazulernen.

Heute sehe ich in Tina Turner weit mehr als eine Entertainerin. Ich sehe eine Frau, die sich emanzipiert hat – nicht nur von Ike, sondern von allen Vorurteilen, Erwartungen und Rollenzuweisungen. Eine Frau, die uns gezeigt hat, dass Lebensalter keine Grenze sein muss. Dass eine zweite – oder dritte – Chance möglich ist.

6 Kommentare

  1. Elvira

    Sehr spannender Beitrag, danke Hanspeter!

  2. Hanspeter Gautschin

    Danke dir, Elvira – freut mich, wenn dich die Geschichte gepackt hat!

  3. Göni

    Genau richtig was Du seisch. Wichtig isch das en Entscheid triffsch. Öb dä denn richtig oder falsch isch schtellt sich äbe denn erscht schpöter use. Häsch halt eifach echli Pech gha.

  4. Peter

    Tina Turner und Hanspeter Gautschin. Scheinbar eine Geschichte für sich. Grüsse aus Europa.

  5. Hanspeter Gautschin

    Danke, Göni – genau so sehe ich’s auch. Entscheiden muss man, und manchmal liegt man halt daneben. War wohl einfach nicht mein Glückstag damals.

  6. Hanspeter Gautschin

    Danke, Peter – ja, das Leben schreibt manchmal Geschichten, die man sich so nie hätte ausdenken können. Herzlichste Grüsse zurück nach Europa!

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Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

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