Ein prachtvolles, fremdes Huhn hatte sich auf einen Hühnerhof verirrt und suchte nun eifrig nach Nahrung. Seine Federn glänzten wie poliertes Ebenholz, und an den schlanken Beinen funkelten silberne Ringe.

Es stammte von einer Künstlertruppe, bei der es zusammen mit seiner Familie lebte. Dieses Huhn verstand es, auf Kommando zu apportieren, sich totzustellen und Purzelbäume vorwärts und rückwärts über sein eigenes Ei zu schlagen. Diese Tricks waren seine Spezialität – und so mancher Bauer hätte darauf schwören können, dass es auch noch jonglieren konnte.

Jetzt stand es in einer Ecke des Hühnerhofs und pickte Körner auf, als die dicke, graue Henne misstrauisch den Kopf reckte. «Was ist das denn für ein auffälliges Geschöpf?» fragte sie den Hahn, der, wie immer, souverän die Szene überblickte. «Und schau mal, diese silbernen Ringe an den Beinen – wo hat sie die denn her?» hakte die braun-weisse Henne nach, deren Beine mit besonders langen Federn geschmückt waren.

Der Hahn, in seiner gewohnt gelassenen Art, zuckte mit den Schultern – oder vielmehr mit den Flügeln. «Ich weiss es nicht», sagte er, «aber sie gefällt mir.»

«Natürlich!» gluckste die graue Henne verächtlich. «Dir gefällt doch alles, was neu ist!»

«Das Alte aber auch», entgegnete der Hahn höflich und verbeugte sich galant.

Währenddessen hatten sich die anderen Hühner neugierig um die Fremde geschart und löcherten sie mit Fragen über Herkunft und Familie. «Ich trete in einem Zirkus auf», erzählte das Huhn fröhlich und begann, seine beeindruckenden Kunststücke zu beschreiben. Da erhob sich plötzlich ein aufgeregtes Gegacker, das wie eine Welle über den Hof rollte. Ein paar Hennen flohen panisch, andere umkreisten die Fremde vorsichtig, als könnte ihr aussergewöhnliches Talent auf sie überspringen. Einige eilten zu ihren Küken, um sie von dieser skandalösen Erscheinung fernzuhalten, während ein paar Blicke suchend zum Hahn wanderten, als ob sie bei ihm Bestätigung suchen wollten.

«Purzelbäume! Wie schrecklich!» gackerte ein mageres Huhn, das als Eierlegerin berühmt war. «Das ist doch völlig unnatürlich!»

«Warum?» fragte das fremde Huhn unschuldig.

«Weil es gegen die Natur ist! Was wäre, wenn alle Hühner anfangen würden, solche Unsinnigkeiten zu lernen? Wo kämen wir da hin?»

«Oh, keine Sorge», antwortete das fremde schwarze Huhn etwas pikiert. «Das wird schon nicht passieren.»

In diesem Moment setzte eine alte Ente zum Schnattern an und schlug aufgeregt mit den Flügeln. Sie war eine wahre Institution auf dem Hof, bekannt für ihre tüchtige Brutpflege und von allen als Autorität respektiert. «Darf ich fragen: Haben Sie einen Hahn?»

«Natürlich!» antwortete die Fremde. «Und zwar einen besonders schönen, ausländischen!»

«Haben Sie Küken?» bohrte die Ente weiter.

«Aber natürlich! Und alle haben schon ihre Flügelchen und Schwanzfedern.»

Die Ente schnatterte empört: «Und Sie lassen Ihre Küken allein, während Sie Kunststücke vorführen? Die armen Kleinen müssen doch hungern und frieren, während Sie sich amüsieren. Was für eine liederliche Mutter sind Sie nur! Vor Ihnen muss man unsere jungen Hähne und Entlein warnen!»

Das fremde Huhn liess sich das nicht gefallen. «So! Und woher wissen Sie, dass ich meine Jungen vernachlässige? Sehen Sie sich doch mal meine Küken an – aufgeweckt, fröhlich und neugierig auf die Welt, ganz im Gegensatz zu Ihren, die ständig müde und gelangweilt herumliegen. Und fragen Sie doch mal meinen Hahn, mit wem er lieber über die Wiese spaziert – mit mir oder mit den anderen Hühnern, die so kleinlich, engstirnig und langweilig sind wie Sie!»

Die Ente wollte noch etwas einwerfen, doch das schwarze Huhn kam ihr zuvor. «Und fragen Sie auch Ihren Hahn, warum er ständig neue Hennen haben will, obwohl seine eigenen so hübsch sind! Weil ihr Enten und Hühner alle furchtbar langweilig seid! Man hält es auf Dauer einfach nicht mit euch aus!»

Jetzt brach das Chaos los. Die Hühner und Enten fielen über das schwarze Huhn her, zerrten an seinen Federn und kreischten wild durcheinander. «Lasst sie in Ruhe!» krähte der Hahn, «sie hat doch recht!»

«Recht!» kreischten die Hühner empört. «Das ist der Dank für all unsere Liebe!» klagte die graue Henne. «Und wie viele Eier wir dir gelegt haben!» stimmten einige andere ein.

«Das hat sie auch getan», entgegnete der Hahn ruhig.

«Und wie viele Küken wir dir geschenkt haben!» prahlte eine grosse, gelbe Henne mit sieben Jungen.

«Sie hat deren neun», erwiderte der Hahn ohne Zögern.

Da schrien die Hühner durcheinander: «Aber wie werden die aussehen! Mager und zerrupft, mit nackten Hälsen! Am Ende frisst sie die Katze oder der Habicht, weil niemand auf sie aufpasst!»

In diesem Moment piepste es laut vom Hühnerhof her, und neun kugelrunde, glänzende Küken wuselten vor dem Holzgitter herum. Als das schwarze Huhn sie erblickte, flog es mit lautem Freudengegacker auf sie zu. Die Küken rannten aufgeregt um das Huhn herum, flatterten ihm auf den Kopf und krochen unter seine schützenden Flügel.

Oben auf dem Zaun balancierten die übrigen Hühner und starrten ungläubig auf das Spektakel hinab. Unten lugten die Enten durch das Gitter. «Und, wie gefallen euch meine Küken?» rief das schwarze Huhn stolz.

Da kam ihm ein Gedanke. Es schlug einen Purzelbaum, zuerst vorwärts, dann rückwärts, und hüpfte schliesslich elegant über seine Küken hinweg, die sich in perfekter Reihe aufgestellt hatten. Zum Schluss verbeugte es sich tief und anmutig.

«Bravo, bravo!» krähte der Hahn begeistert. Die Hühner aber stoben wütend gackernd davon. Und an jenem Tag musste der Hahn sämtliche Regenwürmer, die er fand, alleine essen – was ihm jedoch herzlich egal war.

 

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