Die Herbstferien standen vor der Tür. Wir, damals 13 Jahre alt, hatten einen abenteuerlichen Plan gefasst, der uns noch lange in Erinnerung bleiben sollte.

Unser Freund Häsi, mutiger Bergsteiger und Kletterprofi, hatte die glorreiche Idee, ein Trainingslager auf der «Sennhöchi» abzuhalten. Mit glänzenden Augen verkündete er: ‘Wir werden richtige Bergabenteuer erleben!’. Natürlich waren wir alle sofort Feuer und Flamme.

Der Herbst zeigte sich von seiner besten Seite, mit strahlender Sonne und milden Temperaturen – als hätte das Wetter unser Vorhaben abgesegnet. Mit Elan packten wir unsere Rucksäcke – Zelt, Schlafsäcke, Proviant und natürlich eine grosse Portion Mut.

Der Aufstieg zur «Sennhöchi» über den Meiersberg verlief erstaunlich reibungslos. Kein Stolpern, keine Umwege, nur der fröhliche Klang unserer Stimmen und das Knirschen der Wanderschuhe auf dem steinigen Pfad. Oben angekommen, schlugen wir unser Lager auf. Das Zelt stand – wenn auch etwas schief – und die Kochnische sowie der improvisierte Donnerbalken, unser selbstgebautes «Klo», waren ebenfalls einsatzbereit. Der Höhepunkt des ersten Abends: Spaghetti kochen. Eigentlich sollte dabei wirklich nichts schiefgehen. Doch irgendwie haben wir wohl das falsche Pülverchen unter die Spaghetti gemischt. Jedenfalls schlug der Durchfall erbarmungslos zu, und unser Donnerbalken wurde würdevoll eingeweiht.

Der Vorfall mit den Spaghetti hätte uns zwar beinahe ausser Gefecht gesetzt, aber wir liessen uns nicht unterkriegen. Frühmorgens, noch bevor die Sonne richtig über die Breitenfluh lugte, weckte uns Häsi mit einem energischen «Aufstehen, Kameraden!». Also hiess es: Morgenturnen. Noch halb im Schlaf, versuchten wir, unsere Körper wach zu kriegen, während Häsi um uns herumturnte wie eine Bergziege auf Koffein.

Nach dieser ersten Lektion im Frühsport stand das Abseilen auf dem Programm. Zuerst ging es ans «Plättli» – eine sanfte Felswand, ideal für Anfänger. Häsi machte es uns vor: Seil festmachen, abseilen, unten ankommen und dabei auch noch cool aussehen. «Seht ihr, ganz einfach», grinste er, als er unten ankam. Wir nickten eifrig und taten so, als wäre uns auch nicht die Spur von Angst ins Gesicht geschrieben. Die ersten Versuche liefen erstaunlich gut, und wir fühlten uns wie die Helden aus einem Abenteuerroman.

Aber dann kam das «Spitzeflüehli». Hier war das Abseilen eine ganz andere Herausforderung. Die Wand war steiler, und es gab überhängende Abschnitte, die uns das Zähneklappern lehrten. Doch trotz der Angst schafften wir es alle, uns nach unten abzuseilen, auch wenn der Adrenalinschub dabei heftig war. Der Stolz, es geschafft zu haben, wärmte uns mehr als die Sonne, die schon langsam gegen den Zenit stieg.

Doch das eigentliche Abenteuer wartete noch auf uns: der Grat, den wir erklettern sollten. ‘Jetzt wird’s ernst’, dachte ich mir, als Häsi den Befehl gab, die Kante hinaufzuklettern. Er würde uns sichern, sagte er. Die ersten paar Meter gingen noch, aber dann, als ich etwa zwei Drittel des Grates hinter mir hatte, wagte ich einen Blick nach unten. Ein Fehler. Die Welt drehte sich plötzlich schneller, und die Felsen unter mir schienen zu schwanken. «Häsi!», rief ich, «Ich kann nicht mehr!»

Seine Antwort? Ein schallendes Lachen. «Es gibt nur einen Weg und das ist aufwärts!» Leichter gesagt als getan. Aber was blieb mir anderes übrig? Also biss ich die Zähne zusammen und schleppte mich weiter nach oben, Schritt für Schritt. Und dann – endlich! – war ich oben. Auf der Spitze angekommen, mit zitternden Beinen und einem wild klopfenden Herzen, spürte ich eine Mischung aus Erleichterung und Stolz. Wir alle hatten es geschafft. Das Abenteuer hatte so richtig begonnen. Doch es warteten noch weitere auf uns.

Nach einem Tag voller Adrenalin genehmigten wir uns eine wohlverdiente Pause. «Heute keine Felsen, keine Seile, einfach nur eine schöne Wanderung», verkündete Häsi und deutete auf den Bölchen, unser Tagesziel. Die Wanderung war entspannend, aber wir wussten alle: Das war nur die Ruhe vor dem Sturm.

Am nächsten Morgen, noch bevor die Sonne richtig über die Hügel kroch, trat Häsi mit ernstem Blick vor uns. «Heute geht’s zur Breitenfluh. Wir werden sie wie echte Bergsteiger erklettern.» Na gut, die Breitenfluh war nicht gerade die Eiger-Nordwand, und viele durchsteigen sie ohne Seil und Sicherung. Aber Häsi hatte sich in den Kopf gesetzt, uns das richtige Sichern beizubringen. Da gab es kein Pardon.

Gesagt, getan. Wir machten uns auf den Weg und begannen den Aufstieg. Es lief wie am Schnürchen, fast schon zu gut, dachte ich mir. Etwa auf halber Distanz angekommen, geschah es dann: Einer von uns, dessen Name hier gnädigerweise unerwähnt bleibt, begann unruhig auf der Stelle zu treten. «Ich muss», murmelte er, zunächst leise, dann mit steigender Dringlichkeit. Wir schauten uns an, als hätte er gerade verkündet, dass er die Fluh rückwärts erklimmen wolle.

«Das geht doch nicht!», riefen wir unisono, während uns die Absurdität der Lage allmählich klar wurde. Doch je mehr wir versuchten, ihn zu überreden, desto stärker wurde sein Drang. Es war kein Halten mehr, und so blieb uns nichts anderes übrig, als ihn zu sichern. Direkt unterhalb des «Kamels», einem kleinen Felsvorsprung, richteten wir die «Geschäftsstelle» ein. Sein Po hing dabei freischwebend über dem Abgrund, während er seine Notdurft verrichtete. Wir konnten uns das Lachen kaum verkneifen. Die Situation war einfach zu grotesk, und trotzdem hielten wir ihn tapfer gesichert.

Als er endlich fertig war, atmeten wir alle erleichtert auf. Es war ein Manöver gewesen, das weder in den Bergsteigerbüchern noch in den Lehrplänen zu finden war. Aber in unserem «Trainingslager» zählte eben jede Erfahrung. «Gut gemacht», meinte Häsi, als ob es das Normalste der Welt gewesen wäre. Und so setzten wir unseren Weg fort – um eine Anekdote reicher und mit der Gewissheit, dass wir uns wirklich aufeinander verlassen konnten, selbst in den seltsamsten Situationen.

Der letzte Abend unseres abenteuerlichen Trainingslagers brach an. Die Sonne tauchte die «Sennhöchi» in ein warmes, goldenes Licht, während wir ums Lagerfeuer hockten. Jeder von uns schwelgte in den Erinnerungen der letzten Tage – die wackligen Abseilmanöver, die «geschäftlichen» Notfälle und die vielen Momente, die uns enger zusammengeschweisst hatten. Es war ein Abend voller Gelächter und Kameradschaft.

Doch plötzlich wurde die Ruhe jäh unterbrochen. Ein wildes Kriegsgeheul riss uns aus unserem friedvollen Zusammensein. Ehe wir uns versahen, tauchten aus dem Dunkel ein paar Burschen aus Waldenburg auf – die Jungs aus dem Gerstelgebiet, die zur gleichen Zeit wie wir zelteten. Sie stürmten auf uns zu, mit dem festen Willen, uns zu überfallen. Die Überraschung war gelungen.

Wir liessen uns jedoch nicht kampflos schlagen. Tapfer sprangen wir auf, versuchten uns gegen die Überzahl zu behaupten, aber nach ein paar Minuten Rangelei war klar: Die Übermacht war einfach zu gross. Wir mussten uns geschlagen geben. Doch auf echte Abenteurerart begruben wir schnell das Kriegsbeil. Schliesslich waren wir alle nur Jungs, die das Gleiche suchten: Spass, Abenteuer und ein bisschen Nervenkitzel.

So zogen wir gemeinsam los, den Berg hinunter zu ihrem Zeltplatz. Dort angekommen, war die Rivalität schnell vergessen. Stattdessen wartete eine Belohnung auf uns: Kakao, heiss und dampfend. Wir sassen zusammen, lachten, erzählten uns Geschichten und genossen die letzten Stunden dieses unvergesslichen Abenteuers. Es war der perfekte Abschluss für eine Woche, die uns noch lange in Erinnerung bleiben würde – voller Abenteuer, Freundschaft und der Freiheit der Berge.

 

Pin It on Pinterest