Der September bringt uns den Herbst in all seiner Pracht. Die Tage sind golden, die Sonne steht noch hoch am Himmel, doch der Abschied von der Wärme des Sommers ist gewiss.

Diese Übergangszeit verleiht der Natur eine besondere Intensität – eine Ruhe, die in ihrer Schönheit fast ehrfürchtig wirkt. Es ist, als hielten Zeit und Natur kurz inne, um den Moment zu feiern, bevor das Jahr sich dem Ende zuneigt.

An den klaren, sonnigen Sonntagen im September liegt eine festliche Stille über Wäldern und Feldern. Die Bäume tragen ihr buntes Kleid, die Blumen leuchten in satten Farben. Goldraute, Sonnenblumen und Astern strahlen in Gelb, Blau, Rot und Violett. Selbst die Schmetterlinge, die noch von Blüte zu Blüte tanzen, scheinen die letzten Sonnenstrahlen besonders zu geniessen. Der kleine Fuchs zeigt seine leuchtenden Flecken, der Admiral segelt stolz in Rot, Schwarz und Braun von Kraut zu Kraut, und selbst der geheimnisvolle Totenkopffalter lässt sich noch einmal blicken.

Es sind Tage voller Segen – Marientage –, während die Sonne durch das Sternbild der Jungfrau wandert. Die Bauern beginnen mit der Aussaat für den Winter und schreiten langsam über die Felder, während sie den Samen in die Erde streuen. Der Abschied von der Wärme des Sommers bringt eine Melancholie mit sich, die der Welt einen goldenen Glanz verleiht. In der Erfüllung liegt tiefe Traurigkeit, denn das Licht nimmt nun ab, die Dunkelheit wächst unaufhaltsam.

Morgens hängt der Nebel über den Wiesen, und die Sonne begrüsst die stille Welt zögernd, durch tausend Tauperlen, die im Gras und an Spinnweben glitzern. Der September kündigt das grosse Abschiednehmen an. Noch singen die Vögel – der Buchfink, der Star und die Grasmücken –, doch die Schwalben sammeln sich bereits für ihren langen Flug in den Süden. Ein ausgedehntes Hochdruckgebiet sorgt oft für ruhiges, schönes Wetter, doch die kalten Luftschichten über dem Land lassen die Wärme allmählich schwinden.

In den Alpen ist der Sommer schon vorbei. Die Natur zieht ihre Kräfte zurück in den warmen Schoss der Erde. Die Bergblumen welken, nur der Enzian trotzt noch der aufkommenden Kälte. Bald wird der erste Schnee auf den Almen fallen, und die Sennen bereiten sich auf die Talfahrt vor. Bevor sie ins Tal ziehen, treffen sie sich zur Älplerchilbi, einem Fest, das den Abschied feiert. Mancherorts entzünden sie Höhenfeuer, die in das dämmernde Land hinab leuchten, als letzte Erinnerung an die Helligkeit des Sommers.

Nun beginnt die Zeit der grossen Vieh- und Jahrmärkte. Der Bauer hat seine letzte Ernte eingefahren und fährt mit einem Stück Vieh in die Stadt. Dort wird gehandelt, getauscht und gefeiert, bevor er reich beladen und zufrieden auf den Hof zurückkehrt. Schon hört man die ersten Jagdschüsse im Wald, die Jagdsaison beginnt.

Am 22. September tritt die Sonne in das Sternbild der Waage ein. Tag und Nacht sind nun gleich lang. Dies ist der Tag des heiligen Mauritius, ein bedeutender Los- und Markttag, der den Beginn der dunklen Jahreszeit markiert. Ab jetzt wird bei Kerzenlicht gearbeitet, und oft wird dieser Wechsel mit einem Festmahl gefeiert. Während das Licht draussen langsam schwindet, entzündet der Mensch sein kleines Licht der Hoffnung in seinem Heim.

Früher fand an Michaelis, dem 29. September, das Herbstthing statt, der Gerichtstag, der unter dem Zeichen der Waage stand – dem Symbol des Ausgleichs und der Gerechtigkeit. Wie die Ernte abgewogen wird, so wägt der Erzengel Michael am Jüngsten Gericht die Seelen. Doch dieses Gleichgewicht zwischen Licht und Dunkelheit hält nicht lange. Die Dunkelheit gewinnt, und die goldene Pracht des Septembers vergeht.

Die Tage werden kürzer, die Nacht dringt immer tiefer in den Tag, und die Pflanzen ziehen ihre Kräfte ins Innere zurück. Doch in diesem Rückzug liegt eine Weisheit: Die Natur bereitet sich auf die Wiedergeburt im Frühjahr vor. Auch der Mensch ist nun zur Besinnung aufgerufen, um sich innerlich zu stärken.

September – der Monat des Abschieds. Er lehrt uns, dass jede Vollendung zugleich auch ein Ende ist. Im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen liegt die wahre Erfüllung für den, der die Gesetze der Natur achtet.

Erklärungen zu den Begriffen:

  • Marientage: Bezieht sich auf kirchliche Feiertage, die der Jungfrau Maria gewidmet sind. Im September findet das Fest Mariä Geburt am 8. September statt.
  • Sternbild der Jungfrau: Ein Tierkreiszeichen, durch das die Sonne im September wandert.
  • Älplerchilbi: Ein traditionelles Fest der Sennen, das vor dem Abstieg von der Alp gefeiert wird.
  • Mauritius: Ein christlicher Heiliger, dessen Gedenktag am 22. September gefeiert wird.
  • Michaelis: Der 29. September, der Gedenktag des Erzengels Michael, auch bekannt als Michaelistag, markiert den Beginn der dunklen Jahreszeit und war früher ein wichtiger Gerichtstag.
  • Herbstthing: Ein traditioneller Gerichtstag, der in früheren Zeiten an Michaelis abgehalten wurde.
  • Erzengel Michael: Ein Engel im Christentum, der als Kämpfer gegen das Böse und als Wächter der Seelen gilt.

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