Vollmundig wurden uns die Segnungen der Globalisierung verkündet, und wir nahmen sie dankbar an. Etwas noch selber machen? Fehlanzeige. Das kommt für uns doch viel bequemer und zeitsparender aus den Supermärkten.
Anfang der 1990er Jahre weilte ich für einige Zeit in den USA. Die Liebe war’s, die mich dorthin führte – eine Amerikanerin, die ich in Europa kennengelernt hatte. Doch nicht nur zu ihr, sondern auch zu San Francisco, dieser unglaublichen Stadt, entwickelte ich schnell eine innige Beziehung. Die steilen Strassen, die Golden Gate Bridge, der Nebel, der sich über die Bucht legte – all das faszinierte mich.
Eines Abends lud meine damalige Freundin einige Freunde zu einem gemütlichen Abendessen ein. Lobster – Hummer aus dem legendären Fisherman’s Wharf – standen auf dem Menü. Ich machte mich auf den Weg, um die besten Exemplare zu besorgen, doch zurück in ihrem Apartment angekommen, stellten wir erschrocken fest: Keine Mayonnaise im Haus! Für Hummer doch unabdingbar.
«Kein Problem,» meinte einer der Gäste, «wir holen schnell welche im Supermarkt.» Er machte sich bereit, loszufahren, doch ich hielt ihn auf. Der biedere BodeständiX in mir erwachte und brachte mich zu einer ungeheuren Aussage: «Man kann Mayonnaise auch selbst machen.»
Ungläubiges Staunen folgte. «Selber machen?» fragte einer, als hätte ich vorgeschlagen, das Rad neu zu erfinden.
«Ja, wirklich,» entgegnete ich, nun selbst ein wenig amüsiert. «Mit Eiern, Öl, etwas Salz, Zitronensaft und Senf. Das war’s schon.»
Die Gäste, allesamt überzeugte Anhänger der amerikanischen Convenience-Kultur, versammelten sich neugierig um die kleine Küchenzeile, in der ich mein Werk verrichten wollte. Es war, als würde ich ihnen ein vergessenes Ritual aus uralten Zeiten vorführen.
Doch dann geschah es: Das Öl wollte einfach nicht emulgieren. Der erste Versuch geriet zu einer dünnflüssigen Katastrophe. Ein leises Murmeln ging durch die Runde. Ich spürte den Druck auf mir lasten – der Abend, der Hummer, alles hing nun von dieser Mayonnaise ab. Aber aufgeben war keine Option.
Ich schloss die Augen, atmete tief durch, erinnerte mich an die Worte meiner Grossmutter, die mir einst gezeigt hatte, wie man eine perfekte Mayonnaise rührt. Langsam, mit Geduld und einer Prise Improvisation begann ich von vorn, diesmal mit einem Trick: etwas mehr Senf, ein Schuss warmes Wasser. Und siehe da – die Mischung begann zu binden, die Masse wurde sämig und glänzend.
Als ich die fertige Mayonnaise schliesslich präsentierte, schien es für die Anwesenden, als hätte ich ein Wunder vollbracht. «Das ist ja unglaublich», flüsterte eine der Freundinnen meiner Freundin. «Ich wusste nicht, dass man sowas selber machen kann.»
Während wir dann den Hummer genossen, kam das Gespräch zwangsläufig auf die Vor- und Nachteile der Globalisierung. Einer der Gäste, ein junger Start-up-Unternehmer, pries die Vorteile der vernetzten Welt. «Alles ist verfügbar, wann und wo man es braucht. Warum sollte man Zeit mit solchen Dingen verschwenden?» fragte er und deutete auf die Mayonnaise.
Ich lächelte und erwiderte: «Weil die Fähigkeit, etwas selbst herzustellen, uns Unabhängigkeit gibt. Wenn alles bricht, wenn Lieferketten reissen, dann werden wir vielleicht wieder froh sein, dass wir nicht alles verlernt haben.»
Die Diskussion wurde lebhaft, und ich merkte, dass meine Worte nachhallten. Vielleicht würden sie eines Tages selbst die Ärmel hochkrempeln und etwas von Grund auf herstellen.
Der Abend war gerettet, die Gäste waren satt und zufrieden. Möglicherweise reden sie noch heute von dieser «ungeheuerlichen» Tat, die Mayonnaise selbst gemacht zu haben. Und vielleicht denken sie auch ab und zu daran, dass Selbstständigkeit und Do-it-yourself nicht nur Spass machen, sondern uns auch ein Stück Freiheit zurückgeben können.
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