Privileg Sitzplatz – eine Geschichte der Ungleichheit

Von der Ehrenbank zur Smartbench – eine kleine Kulturgeschichte des Sitzens

Man mag es für selbstverständlich halten: eine Bank im Park, eine Sitzgelegenheit am Bahnhof oder vor dem Gemeindehaus. Doch das war nicht immer so. Wer sitzen durfte – und wer nicht –, sagte lange Zeit viel über Macht, Rang und Zugehörigkeit aus. Und bis heute erzählen Sitzbänke davon, wie Gesellschaften sich ordnen – mal einladend, mal ausgrenzend.

Antike: Sitzen als Zeichen von Rang

In der griechischen Agora oder auf dem römischen Forum war das Sitzen kein neutraler Akt. Wer auf einem Mauervorsprung, einem steinernen Sockel oder im Theater Platz nahm, stand damit sichtbar in der gesellschaftlichen Ordnung. In den Arenen des Römischen Reichs war genau geregelt, wer wo sass: Senatoren, Priester, Patrizier – sie alle hatten reservierte Ehrenplätze. Auch in Gerichtshöfen oder bei öffentlichen Versammlungen galt: Der Sitzplatz war Statussymbol, nicht Komfortfrage.

Mittelalter: Sitzen war ein Vorrecht

Im Mittelalter war Sitzen ein Privileg – wortwörtlich. In Kirchen etwa blieb das einfache Volk stehen oder kniete. Nur die Adligen oder Stifterfamilien verfügten über eigene Bänke, sogenannte Chorgestühle. Auch in Burgen und Gutshäusern war der Stuhl dem Hausherrn oder hochgestellten Gästen vorbehalten. Der Rest sass, wenn überhaupt, auf einfachen Holzbänken – oder blieb gleich stehen.

Im öffentlichen Raum waren Bänke kaum vorhanden. Marktplätze, Kirchplätze oder Wege dienten dem Verkehr, nicht dem Verweilen. Sitzgelegenheiten? Überflüssig für jene, deren Alltag von Arbeit, Gehorsam und Pflicht geprägt war.

Frühe Neuzeit: Das Bürgertum bringt die Bank ins Freie

Erst im 17. und 18. Jahrhundert, mit dem Aufstieg des städtischen Bürgertums, kam Bewegung in die Sache. Die Städte begannen, sich neu zu erfinden. Spaziergänge wurden Mode, Promenaden angelegt – und erste Bänke aufgestellt. Stadttore, Kirchenvorhöfe oder Märkte entwickelten sich zu Treffpunkten. Der öffentliche Raum wurde nicht nur durchquert, sondern auch genutzt – zum Reden, Rasten, Zuschauen.

19. Jahrhundert: Industrialisierung und Demokratisierung des Sitzens

Die eigentliche Demokratisierung der Bank begann im 19. Jahrhundert. Neue Materialien wie Gusseisen und industriell verarbeitetes Holz machten es möglich, Bänke in grosser Zahl herzustellen. Parks, Alleen, Eisenbahnstationen – überall entstanden Sitzgelegenheiten. Doch von Gleichheit konnte noch keine Rede sein.

In viktorianischen Gesellschaften spiegelten Bänke die bestehende Ordnung wider: Es gab getrennte Bereiche für Frauen und Männer, für «Anständige» und «Randständige». In vielen Kolonialgebieten wurden rassistische Sitzordnungen eingeführt – oft mit abgewetzten Bänken für die einen und gepflegten Plätzen für die anderen. Zwar ist der Begriff «Apartheid» spezifisch für Südafrika (ab 1948), doch ähnliche Trennlinien bestanden auch in britischen, französischen oder portugiesischen Kolonien – von Simbabwe bis Indochina.

USA: Bänke und Bürgerrechte

In den Vereinigten Staaten erreichte die politische Dimension der Sitzbank einen Höhepunkt während der Zeit der Jim-Crow-Gesetze. In Wartehallen, Parks oder öffentlichen Verkehrsmitteln prangten Schilder: «For Whites Only» oder «Colored Waiting Room». Schwarze mussten sich mit abgelegenen oder beschädigten Bänken begnügen – wenn es überhaupt welche gab.

In Bussen war das System besonders perfide: Schwarze mussten hinten einsteigen, selbst wenn vorne Plätze frei waren. Wenn mehr Weisse zustiegen, verschob sich die unsichtbare Grenze nach hinten – auf Kosten derer, die ohnehin keinen Platz in der Gesellschaft hatten. Die mutige Weigerung von Rosa Parks, am 1. Dezember 1955 ihren Sitzplatz zu räumen, wurde zum Symbol eines neuen Selbstbewusstseins. Ihr Protest war der Auftakt zum Montgomery Bus Boykott, einem Meilenstein der US-Bürgerrechtsbewegung.

Nach dem Krieg: Bänke für alle?

Mit den Sozialreformen nach dem Ersten Weltkrieg entstanden in Europa vermehrt Grünanlagen, Spielplätze, öffentliche Gärten. Die Bank wurde nun Bestandteil einer bewusst gestalteten Stadtlandschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann: nüchterne, vandalensichere, funktionale Bänke. Der Wiederaufbau war pragmatisch – die Bank diente nun dem Zweck, nicht der Repräsentation.

Doch in den 1960er- und 1970er-Jahren kam wieder Farbe ins Spiel. Die Postmoderne brachte verspielte Formen, schrille Farben und ironische Referenzen. Die Bank wurde zur Kunst im öffentlichen Raum – ein Ausdruck des Zeitgeists.

Heute: Hightech zum Hinsetzen

Im digitalen Zeitalter bekommt die Bank eine neue Bedeutung. In Metropolen wie Seoul oder Singapur sind sogenannte «Smart Benches» im Einsatz: Sie bieten WLAN, USB-Anschlüsse, Solarzellen, LED-Leuchten, Wetterschutz – und gelegentlich sogar beheizte Sitzflächen. Möglich machen das Photovoltaikmodule, die den Strombedarf direkt vor Ort decken.

Doch auch hier bleibt das Sitzen nicht ohne soziale Dimension. Viele dieser neuen Bänke sind so gestaltet, dass man zwar sitzen, aber nicht liegen kann. Aktivisten sprechen deshalb von «Anti-Obdachlosen-Bänken» – sie zeigen, dass der Zugang zum öffentlichen Raum nach wie vor umkämpft ist. Auch in westlichen Städten wie London oder Amsterdam hält dieser Trend Einzug.

Die Bank als Spiegel der Gesellschaft

Ob Ehrenplatz im Kolosseum, Chorgestühl im Dom, Parkbank unter Kastanien oder digitale Sitzstation mit WLAN – die Sitzbank erzählt mehr über uns, als man auf den ersten Blick meint. Wer sitzen darf, wo man sitzen darf und wie eine Bank gestaltet ist, das ist nie ganz zufällig. Es ist eine stille, aber präzise Aussage darüber, wie wir Gemeinschaft organisieren.

Vielleicht lohnt es sich, das nächste Mal nicht nur auf der Bank Platz zu nehmen – sondern auch auf ihre Geschichte zu hören.

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Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

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