Oktober: Die stille Pracht des Abschieds

Der Oktober, ein Monat des Wandels und der Reife, lädt uns ein, die Natur in ihrer letzten, grossen Transformation zu erleben. Der Herbst ist wie ein leises Abkommen, das die Natur mit sich selbst geschlossen hat.

Sie weiss, dass das Sterben zum Lauf der Dinge gehört, und anstatt sich dagegen zu wehren, umarmt sie es mutig. Was dabei entsteht, ist eine Explosion von Farben und ein Fest, das leiser nicht sein könnte, aber an Schönheit kaum zu überbieten ist.

In diesem launischen Monat werden die Tage kürzer und die Nächte kühler. Die Bäume beginnen ihren Rückzug, als ob sie ein letztes, tiefes Einatmen nehmen, bevor sie in den Winterschlaf fallen. Die Blätter, die sich den Sommer über mit Nährstoffen vollgesogen haben, geben nun alles an die Bäume zurück. In einem letzten Akt des Dankes kleiden sich die Wälder in Rot, Gelb und Gold. Die Birnbäume vor dem Haus glühen beinahe, und auch der Wald scheint in einem goldenen Mantel zu schimmern.

Doch es sind nicht nur die Bäume, die den Herbst so besonders machen. Auf den Feldern und in den Gärten zeigt sich das Leben in seiner letzten, kraftvollen Blüte. Efeu und Wermut blühen still vor sich hin, während der Ackersenf in leuchtendem Gelb die brachliegenden Äcker bedeckt. Auf den feuchten Wiesen strecken die Herbstzeitlosen ihre Köpfe aus dem Boden, als würden sie flüstern: «Noch einmal Sonne, bevor der Frost kommt.» Rund um das Haus, wo es noch etwas wärmer ist, blühen Dahlien und Herbstastern in schrillen Farben, als wollten sie die letzten Insekten der Saison mit einem finalen Feuerwerk anlocken.

Aber der Herbst ist nicht nur die Zeit der Farben, sondern auch die Zeit der Fülle. Die Bäume tragen schwer an ihren Früchten: Reife Äpfel und Birnen hängen dicht an den Zweigen, und in den Hecken wetteifern Hagebutten und Schlehen um die Aufmerksamkeit. Die Kastanien, diese glänzenden braunen Kugeln, fallen fröhlich aus ihren stacheligen Hüllen und rollen den Kindern vor die Füsse.

Während die Natur sich auf den Winter vorbereitet, tut der Mensch es ihr gleich. Überall wird geerntet, die letzten Kartoffeln werden aus der Erde geholt, und die Keller füllen sich langsam mit Vorräten. In den Weinbergen herrscht Hochbetrieb, denn die Trauben werden gelesen, und die Winzer feiern die Ernte mit fröhlichen Festen, die oft bis tief in die Nacht dauern.

Auch die Tiere spüren den nahenden Winter. Die Eichhörnchen sammeln eifrig Nüsse, während die Murmeltiere sich mit Bergheu eindecken. Und die Zugvögel machen sich bereit für ihre Reise in den Süden, begleitet von einem ständigen Gezwitscher und Geschwätz, als würden sie sich gegenseitig Mut zusprechen.

Doch so prachtvoll der Herbst auch ist, der Winter wirft bereits seine Schatten voraus. Stürme ziehen vom Atlantik heran und bringen kühle, feuchte Luft mit sich. Manchmal scheint es, als würde der Föhn uns einen letzten, trügerischen Sommer vorgaukeln, doch wir wissen es besser. Wenn der Oktober sich dem Ende zuneigt und der Simon-Judä-Tag naht, ist es, als würde der Herbst uns mit einem kalten Schauer aus unserem Traum reissen.

Und doch, trotz all des Wandels und Vergehens, lehrt uns der Oktober eine wichtige Lektion: Die Reife bringt uns die Weisheit, alles zu akzeptieren, auch das Loslassen. Es ist ein Geschenk, das uns der Herbst mit all seiner Pracht macht. Die Natur zeigt uns, dass im Loslassen eine tiefe Schönheit und ein stiller Frieden liegen, und erinnert uns daran, dass jeder Abschied auch ein Neubeginn sein kann.

Erklärungen zu den Begriffen:

  • Ackersenf: Eine Pflanze, die oft als Unkraut auf Äckern wächst, aber im Herbst mit leuchtend gelben Blüten überrascht.
  • Herbstzeitlose: Eine spät blühende Pflanze, deren Blüten oft direkt aus dem Boden spriessen, während die Blätter erst im Frühjahr erscheinen.
  • Föhn: Ein warmer, trockener Fallwind, der in den Alpenregionen für vorübergehende sommerliche Temperaturen sorgt, bevor der Winter einbricht.
  • Simon-Judä-Tag: Der 28. Oktober, der Festtag der Apostel Simon und Judas Thaddäus, markiert in der Tradition das nahende Ende des Herbstes und den Übergang zum Winter.

 

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Ich bin Hanspeter Gautschin, Erzähler und Autor von BodeständiX – Geschichten, die bleiben.

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