Der November, einst der neunte Monat des alten römischen Kalenders, wirkt auf den ersten Blick unscheinbar und trübe. Der Himmel, in Grau gehüllt, breitet sich über das Land aus, als hätte er beschlossen, sich für einen Monat Urlaub zu nehmen.
Nebelschwaden treiben wie gespenstische Gestalten durch leere Strassen und über karge Felder, und wenn der Nebel sich lichtet, übernimmt der Regen die Bühne. Dieser Regen scheint endlos, als ob der Himmel all seine Tränen des Jahres in einem grossen Finale vergiessen möchte.
In den Gärten hat der Frost bereits seinen Tribut gefordert. Die Dahlien, einst farbenfrohe Blickfänge, sind jetzt nur noch blasse Schatten ihrer selbst. Doch einige Hartgesottene halten noch durch: Winterastern, Chrysanthemen und vereinzelte Stiefmütterchen trotzen der Kälte. In den Feldern und Wäldern zeigt sich ein ähnliches Bild. Ein paar letzte Blüten, wie die bescheidene Vogelmiere oder der zähe Hahnenfuss, wagen sich noch hervor, aber die Natur ist längst im Sparmodus. Ein letzter roter Akzent hier und da – die Ebereschenbeeren, die uns daran erinnern, dass das Leben noch nicht ganz verschwunden ist.
Die Tiere haben sich bereits in ihre Winterquartiere zurückgezogen. Mücken, Käfer und vereinzelte Schmetterlinge suchen Schutz unter der Baumrinde oder im Laub, als wären sie auf einer geheimen Mission im Untergrund. Eidechsen und Schlangen graben sich tief in die Erde ein, während Frösche, Molche und Kröten den Winter im Schlamm verbringen, wo sie wie eingefrorene Schätze auf den Frühling warten. Murmeltiere, Igel und Fledermäuse haben ihre Schlafstätten aufgesucht, um den langen, nahrungsarmen Winter zu verschlafen. Andere Tiere, wie Hasen und Rehe, haben sich ein dichtes Winterfell zugelegt und sind bereit für die kalten Monate.
Und wir Menschen? Wir gedenken der Verstorbenen und besuchen die Gräber unserer Lieben, legen zu Allerheiligen immergrüne Kränze nieder und erinnern uns an diejenigen, die nicht mehr unter uns sind. An Allerseelen stellen manche sogar noch Gedecke auf den Tisch oder legen Speisen und Getränke auf die Fensterbank, als würden wir darauf warten, dass die Seelen der Verstorbenen anklopfen. Diese alten Bräuche, tief verwurzelt in der Geschichte der Menschheit, leben in den christlichen Festen von Allerheiligen und Allerseelen weiter. Selbst der Totensonntag, eingeführt im 19. Jahrhundert, ist ein Erbe dieser Traditionen.
Doch der November hat noch mehr zu bieten als das Gedenken an die Toten. Am 3. November feiern Jäger den Hubertustag, zu Ehren ihres Schutzpatrons, und veranstalten grosse Hetzjagden. Der Leonhardstag am 6. November, der zu Ehren des Heiligen Leonhard begangen wird, erinnert an den Schutzpatron des Viehs und der Bauern, und war einst mit Flurumritten und Wallfahrten verbunden.
Am 11. November, dem Martinstag, wird in vielen Gegenden das Ende des bäuerlichen Arbeitsjahres gefeiert. Märkte, Messen, Martinsfeuer und Laternenumzüge bringen Licht und Wärme in die dunkle Jahreszeit. Die Gänse haben an diesem Tag allerdings nichts zu lachen, denn sie stehen traditionell als Festmahl auf dem Tisch – eine Tradition, die auf die Legende zurückgeht, dass Gänse den heiligen Martin durch ihr Geschnatter verrieten, als er sich vor seiner Ernennung zum Bischof versteckte.
Später im Monat wird am 25. November der Katherinentag begangen, ein Festtag, der in manchen Gegenden den Mädchen gewidmet ist. Der 30. November, der Andreastag, gilt als besonderer «Lostag». An diesem Tag schaut man gerne in die Zukunft, sei es durch Bleigiessen oder andere Orakel. Alte Bräuche besagen, dass das erste männliche Wesen, dem ein Mädchen an diesem Tag begegnet, ihr zukünftiger Ehemann sein könnte. In manchen Regionen glaubte man sogar, dass der zukünftige Partner im Wasser eines Brunnens sichtbar werde, wenn man sich an ein bestimmtes Ritual hält.
Ist der November also wirklich so unscheinbar? Ganz im Gegenteil! Er trägt eine tiefe, stille Bedeutung in sich, die man erst spüren muss. Wenn der Wind durch die kahlen Bäume fährt und die letzten Blätter verloren durch die Strassen tanzen, wenn nachts die Zugvögel mit einem wilden Brausen durch die Lüfte ziehen, dann wird uns die Einsamkeit dieser Welt bewusst. Doch gerade in dieser Stille, wenn alles um uns herum zur Ruhe kommt, spüren wir das Leben in uns selbst umso stärker. Der November lädt uns ein, uns zurückzuziehen, in die Wärme unseres Heims und in unser Inneres, und dort zu finden, was wirklich zählt. Er bereitet uns auf die stille Winterruhe vor, auf die Zeit, in der neues Leben im Verborgenen entsteht und die Welt sich auf ein neues Erwachen vorbereitet.
Erklärungen zu den Begriffen:
- Allerheiligen: Ein christlicher Feiertag am 1. November, an dem aller Heiligen gedacht wird, insbesondere jener, die keinen eigenen Gedenktag haben.
- Allerseelen: Ein christlicher Gedenktag am 2. November, an dem der Verstorbenen gedacht wird. Traditionell wird an diesem Tag für die Seelen der Verstorbenen gebetet.
- Totensonntag: Ein evangelischer Gedenktag für die Verstorbenen, der am letzten Sonntag vor dem ersten Adventssonntag begangen wird.
- Hubertustag: Der 3. November, der Tag des heiligen Hubertus, dem Schutzpatron der Jäger.
- Leonhardstag: Der 6. November, ein Gedenktag zu Ehren des heiligen Leonhard, dem Schutzpatron der Bauern und des Viehs.
- Martinstag: Der 11. November, der Tag des heiligen Martin von Tours, der mit Laternenumzügen und Martinsgänsen gefeiert wird.
- Katherinentag: Der 25. November, der Tag der heiligen Katharina von Alexandria, oft ein Festtag für Mädchen und Frauen.
- Andreastag: Der 30. November, der Gedenktag des heiligen Andreas, an dem in vielen Kulturen Bräuche und Orakel zur Zukunftsdeutung praktiziert werden.
- Lostag: Ein Tag, der in alten Bräuchen und Traditionen eine besondere Bedeutung hat, oft in Verbindung mit Wettervorhersagen und Orakeln.
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