Eine jede Szene hat ihre Stars. Auch im Spendenmarketing. Vor einigen Jahren hatte ich das grosse Glück, Praxistipps von einem echten Profi zu erhalten. Er eignete sich sein Wissen nicht im Hörsaal an, sondern im wahrsten Sinne des Wortes «auf der Strasse».
Er war einer der erfolgreichsten Fundraiser in Strassburg. Ich lernte ihn als Nachbarn eines guten Freundes kennen. Er wohnte, wie mein Freund, in einer umgebauten Péniche (Kanalschiff).
Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich durch Betteln. Ich staunte jedes Mal, wenn Bob von seiner Arbeit heimkehrte und schmunzelnd vor meinen staunenden Augen seinen Klingelbeutel ausleerte. Ich kann Euch verraten: Da kam regelmässig ein nettes Sümmchen zusammen.
Bob war eine faszinierende Persönlichkeit. Seine Augen funkelten stets vor Lebensfreude, und er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, selbst an den kalten Wintertagen. Doch es gab auch eine nachdenkliche Seite an ihm. Er erzählte mir oft, wie er durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf der Strasse gelandet war und wie das Betteln für ihn eine Möglichkeit wurde, nicht nur zu überleben, sondern auch eine Art von Gemeinschaft zu finden.
Ich war natürlich brennend daran interessiert, ins Geheimnis seines erfolgreichen Spendenmarketings eingeweiht zu werden. Also nahm er mich eines Tages mit zur Arbeit.
Als erste wichtige Lektion lernte ich, dass Betteln – pardon: Spendenmarketing – tatsächlich harte Arbeit ist.
Zuerst einmal geht es auch hier um die Hierarchie. Jeder neue Bettler beginnt ganz unten (schlechte Plätze) und arbeitet sich je nach Durchhaltewillen und Durchsetzungsvermögen nach oben. So viel sei verraten: Die attraktivsten Plätze sind unmittelbar bei Kirchen. Bettler, die einen solchen Platz einnehmen, stehen in der Hierarchieleiter ganz oben. Natürlich auch umsatzmässig.
Bob erklärte mir, dass die besten Plätze hart umkämpft sind und dass man sie sich durch Respekt und Hartnäckigkeit verdienen muss. Er selbst hatte Jahre gebraucht, um seinen Stammplatz vor der Kathedrale zu sichern. Dort kannte er inzwischen viele der regelmässigen Besucher, und sie kannten ihn.
Dann gab er mir noch einen weiteren wichtigen Tipp. Erfolgreiche Bettler suchen den Augenkontakt mit potenziellen Kunden. «Menschen möchten wahrgenommen und wertgeschätzt werden», sagte er. «Wenn du ihre Augen erreichst, erreichst du auch ihr Herz.»
Weiter überraschte er mich mit dem Hinweis, dass erfolgreiche Bettler auch auf eine treue Stammkundschaft zählen können. Viele seiner «Kunden» kamen regelmässig vorbei, um ihm etwas zu geben, und einige von ihnen führten sogar kurze Gespräche mit ihm. Diese Beziehungen waren ihm wichtig, und er pflegte sie sorgfältig.
Bob hatte nicht nur ein Talent fürs Betteln, sondern auch eine bemerkenswerte Menschenkenntnis. Er konnte fast sofort einschätzen, wer bereit war, etwas zu geben, und wer nicht. Diese Fähigkeit war Teil seines Erfolgsgeheimnisses.
Eines Abends, bei einem Glas Wein auf seiner Péniche, sprach Bob über seine Zukunft. Er hatte den Traum, eines Tages ein kleines Café zu eröffnen, wo Menschen aus verschiedenen Gesellschaftsschichten zusammenkommen könnten. «Ich möchte einen Ort schaffen, an dem jeder willkommen ist», sagte er. «Ein Ort, an dem niemand verurteilt wird, egal woher er kommt.»
Dieses Erlebnis hat mir gezeigt, dass es im Leben nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist, wer die wahren Experten sind und dass Weisheit oft dort zu finden ist, wo man sie am wenigsten erwartet.
Bob hat mir mehr über Menschlichkeit und die Kunst des Gebens beigebracht, als ich jemals in einem Hörsaal hätte lernen können. Und dafür werde ich ihm immer dankbar sein.
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