Es lebte einmal ein König, der eine Gemahlin hatte, die von so grosser Schönheit war, dass jedermann sie lieben musste.

Ihre Haut war weiss wie Alabaster, ihre Augen waren tief wie Seen, und ihr Haar hatte die Farbe glühenden Eisens. Man erzählte sich im Volk, dass das Haar der Königin früher golden war und dass es von den vielen Küssen dieses brennende Rot der Liebe angenommen habe. Der König aber war sehr eifersüchtig und liess jeden töten, der es wagte, seiner Gemahlin von Liebe zu sprechen. Darüber war die Königin sehr traurig; denn es gab viele, die ihr offen ihre Liebe bekundeten. Da sie ebenso gutherzig wie schön war und all ihre Fürbitten beim König erfolglos blieben, weinte sie oft nächtelang.

Auf dem Schloss diente ein Page namens Rowan, mit goldenen Locken und einem verträumten Knabengesicht. Als er seiner Herrin die Schleppe tragen musste, zitterten seine Hände, und als er ihr die Schale mit den Früchten reichte, rollte ein Apfel auf den Boden. Daran sah die Königin, wie sehr er ihr zugetan war, und sie fürchtete sich vor seinem Tod; denn sie liebte ihn mehr als ihren Gemahl.

Der Herbst hatte angefangen, und da geschah es einmal, dass der König ein grosses Fest gab. Dazu kamen die Reichsten des Landes mit ihren Damen, und die Königin trug ihr kostbarstes Kleid; das hatten drei Witwen während sieben Mondnächten aus Tränen und Sehnsucht gewoben. Und als im Saal die Sternenlüster brannten und Strahlen auf die düsterbleichen Gesichter fielen, lehnte Rowan an einer der Türen und fieberte. Und als die Seidenkleider der Tanzenden knisterten, die Musik süsstrunken anschwoll und das Lachen der Königin wie Schluchzen klang, da konnte Rowan sein Fieber nicht mehr verbergen. Er schlich sich durch die wogende Menge über die Steinfliesen hinaus in den herbstlichen Garten.

«Das ist ihr Park,» dachte er sehnend und umklammerte schluchzend einen Eichbaum, «ihr Park…» Und dann lief er weiter, immer weiter an hohen, schwerduftenden Blumen vorbei, bis zu dem nachttrunkenen Teich, der wie ein grosses Kinderauge in den Himmel hinauf staunte. Während er dem Schwellen und Gleiten der Schwäne nachträumte, hörte er plötzlich Schritte, kleine, massvolle Schritte und das Knarren von seidenen Schuhen. Näher kam’s und leuchtete wie Feuer zwischen den Stämmen. Dann stand die Königin vor ihm. Sie erschrak, als sie ihn fröstelnd am Teich stehen sah. Sie flehte ihn an, doch um der heiligen Jungfrau willen in den Saal zurückzukehren. Da fiel er vor ihr nieder, umfasste ihre Knie und sagte:

«Gebt mich frei, Herrin, ich halt es nimmer aus, Eurer Schönheit zu dienen, ohne daran zu sterben; ich halt es nimmer aus, Eure Augen zu sehen, ohne darin zu ertrinken. Darum bitte ich Euch, gebt mich frei!»

Die Königin wurde ganz still, aber sie legte ihre Hand auf Rowans seidige Locken und wühlte darin. Plötzlich stieg in ihr ein Wunsch auf, der zugleich schön und schmerzhaft war, sodass sie ihn aussprechen musste:

«Schenk mir dein Herz, Rowan, und ich gebe dich frei…»

Da drückte er seinen Mund auf ihre Lippen, riss sich das Herz aus der Brust und legte es in ihre Hand.

Als die Königin sah, wie das Herz blutete, konnte auch sie ihre Liebe nicht mehr zurückdrängen. Sie wollte den Pagen an sich reissen; der aber verschwand, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Dann war sie allein mit Rowans Herz, das blutend in die Nacht hinein pochte. Es sah aus wie ein offener Granatapfel. Sie wusch es mit ihren Tränen und verschloss es in einer goldenen Kapsel, die sie fortan unter ihrem Kopfkissen verbarg.

Und immer um Mitternacht, wenn ringsum die Welt schlief und der König neben ihr schnarchte, schloss die Königin die Kapsel auf, nahm das Herz heraus, legte es auf ihre Handfläche und betrachtete es lange.

Und immer um Mitternacht, wenn ringsum die Welt schlief und der König neben ihr schnarchte, hielt sie das Herz an ihr Ohr und lauschte seiner Melodie; denn es pochte immer noch, heiss, heiss: «O, du… O, du …»

Und immer um Mitternacht, wenn ringsum die Welt schlief und der Gemahl neben ihr schnarchte, trank sie den Tropfen Herzblut, der daraus sickerte, schwer und langsam.

Dann verschloss sie es wieder in der Kapsel, legte diese unter das Kissen, bettete ihren Kopf darauf und schlief ein.

Rowan zog noch weit hinaus in die Welt, und weil er ein schönes Gesicht hatte und es verstand, die Schleppen artig zu tragen, war er überall gern gesehen, und es weinte noch manche Königin nach seiner Liebe, weil seine Handküsse kalt und selten waren; denn sie wussten nicht, dass sein Herz in einer goldenen Kapsel unter dem Kopfkissen einer Königin lag und noch immer blutete.

 

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